6. März 2021
Auf den Straßen
Ich muß das wohl einfach zur Kenntnis nehmen. Auch
manche gebildete Leute, die sich im Kulturbetrieb bewegen,
schmeißen mittlerweile mit Begriffen wie Diktatur und
Faschismus wahllos um sich oder kreieren Sonderformen wie
Gesundheitsfaschismus, was immer das sein mag.
Es ist mir rätselhaft, was Menschen bewegt, die
Treffsicherheit von Begriffen konsequent zu demontieren und
so das zu befördern, wogegen sie angeblich sind. Wenn
Sprache seicht und beliebig wird, hauptsächlich benutzt
wird, um eine Art Selbstdefinition durch Feindmarkierung zu
betreiben, dann produziert man auf die Art präfaschistische
Verhältnisse.
Wer Österreich mit Nordkorea oder auch bloß mit Ungarn
assoziiert, demontiert etliches von dem, was uns an
öffentlicher Diskursqualität noch geblieben ist. Ich finde
diesen Mangel an intellektueller Selbstachtung abschreckend,
muß das aber offenbar hinnehmen.
Es ist eine Sache,
unserer Regierung Stümperei vorzuhalten und einzelne
Regierungsmitglieder für Lügner zu halten. (Ich habe keinen
Zweifel, daß wir stellenweise frech belogen werden.) Es ist
eine andere Sache, die Politik ganz generell und das
Parlament bei Laune schlechtzureden.
Darf ich daran
erinnern, daß genau so ein Verhalten eine bewährte
Grundübung der Nationalsozialisten war, um an die Macht zu
kommen? Dabei mußten sie dann nur noch von potenten
Wirtschaftstreibenden und geistig korrupten Kräften der
Wissenschaft gefördert werden, auch von allerhand anderen
Stützen der Gesellschaft, bald darauf ging das Morden los.
Ich bin derzeit laufend auf Fotorecherche für eines meiner
Projekte. Dabei sehe ich Dinge, die mit dem eingangs erwähnten
Obskurantismus deutlich korrespondieren. QAnon zeigt auf unsere
Straßen Flagge. Private Sektierer fahren ihre Solokampagnen und
belehren uns, wer angeblich unsere Feinde seien.
Das
Geschwätz und Gezänk ist nicht bloß in den Social Media
allgegenwärtig, nun finde ich es auch schon hier in der Provinz,
wenn ich vor die Türe gehe. Darf ich daran erinnern, daß wir
eine der schlüssigen Konsequenzen, die dann in Frage kommen,
schon kennen? Das klingt zum Beispiel so: „Die Fahne hoch! /
Die Reihen fest geschlossen! / SA marschiert / Mit ruhig (mutig)
festem Schritt…“
Mir ist derzeit übel und ich bin
darüber sehr traurig, wie schwach die Zeichen im öffentlichen
Diskurs sind, daß sich genug Menschen auch unter Belastungen für
die Demokratie stark machen, statt larmoyant von Diktatur und
Faschismus zu faseln.
Ich bin entsetzt, solche Entgleisungen auch in meinem nächsten
wie vertrauten Umfeld zu finden. Aber das ist offenbar der
Status quo, mit dem wir arbeiten müssen. Klarheit über den Stand
der Dinge ist ja auch was wert…
PS: Derzeit muß ich
Geduld aufbringen, auf Justiz, Journalismus und
Geschichtswissenschaft hoffen, um zu erfahren, was in der
Regierung Kurz I und Kurz II bisher alles gedreht, gelogen und
gestümpert wurde. Ich betrachte meine kleine Skandalchronik und
staune, wie kaltschnäuzig und skrupellos hier einige
Seilschaften vorgehen, das Vertrauen in die Politik zerstören,
Stürme der Polemik provozieren und den Obskurantisten dieses
Landes Rückenwind bieten: [Chronique
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