15. Februar 2021

Es!

Ich gehe manchmal in Situationen als wäre ich noch ein junger Kerl und erlebe dann naturgemäß, wie sehr sich die Dinge verändert haben. Nein, ich beklage das nicht, sondern erlebe es jedesmal so amüsiert wie verdutzt, als hätte mir jemand Neuigkeiten verkauft.

Früher mußte ich zum Beispiel keinen Gedanken daran verschwenden, wenn Kälte in meine Kleidung gekrochen war, um sich in mein Fleisch zu fressen. Das konnte ich mühelos abschütteln. Erledigt! Heute reichen zwei Tage Bedenkenlosigkeit bei Minusgraden und ich bin so gründlich verkühlt, daß ich Erholung brauche.


Letztes Wochenende ging es nicht anders. Es ist ja die Neugier, die mich in solche Momente treibt, um über den Eigensinn, der in mir manchmal regiert, hinwegzusehen. Da waren erst die Stunden zur Sache Kara Tepe. Minusgrade. Ausharren.

Nach diesen wenigen Stunden war ich von der Vorstellung bestürzt, ich müßte mit schlechtem Gewand im Dreck hocken, diese Kälte über Tage, Wochen, Monate lang ertragen und dabei irgendwie ein kleines Kind trösten, dem ich keinen Ausweg bieten kann.

Da bliebe dann nur noch Schweigen, während ich wohlgenährte Leute in meinem Land große Töne spucken höre, wie denn das sei, was da zu tun und was zu unterlassen wäre. Sonntags war ich für Stunden in den Wäldern der Umgebung, im Gestrüpp und Unterholz. Wir machen alle sehr unterschiedliche Erfahrungen und neigen dazu, diese persönliche Deutung der Welt für maßgeblich zu halten.


In diesen Montag, an dem mir alle Muskeln und die Augen weh tun, weil ich nicht nur samstags, sondern auch am Sonntag einige Stunden in der Kälte war, schickte mir Musiker Oliver Mally ein Gedicht von Bobby Sands. Da geht es um dieses schwebende Es, das Aufbegehren im Untergang. In „The Rhythm Of Time“ heißt es am Ende des Gedichts:

It is found in every light of hope,
It knows no bounds nor space
It has risen in red and black and white,
It is there in every race.

It lies in the hearts of heroes dead,
It screams in tyrants’ eyes,
It has reached the peak of mountains high,
It comes searing ‘cross the skies.

It lights the dark of this prison cell,
It thunders forth its might,
It is ‘the undauntable thought’, my friend,
That thought that says ‘I’m right!’
[Quelle]

Der irische Rebell Bobby Sands gehörte zu den Hunger Strikers im nordirischen Gefängnis Maze. Er starb am 5. Mai 1981 an den Folgen seines Widerstandes. Es heißt, er habe seine Gedichte auf Zigarettenpapier gekritzelt, in Folie gewickelt und mit Küssen von Mund zu Mund weitergereicht, so daß Besucher sie aus dem Gefängnis bringen konnten.

PS:
Die Fotos auf dieser Seite habe ich von einem Aufenthalt in Belfast mitgebracht. Daran erinnert auch mein Gedichtnoch immer.


-- [Kara Tepe] --
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