14. Februar 2021

Es gibt mich!

Ich hab auf Facebook diese kleine Fotoserie laufen, die ich anschließend in Albumblättern anordne. „Routen und Gegend“ erzählt vom Gehen und von Blicken. Dabei ist mir jüngst am Rand Gleisdorfs ein miserables Graffiti aufgefallen, das mich fragen ließ, welche Intentionen sich da manifestiert haben.


So ergab sich eher assoziativ jene Bildunterschrift: selbst wenn er nichts zu sagen hat, der stümper mit der ungelenken handschrift, so sagt er doch: „es gibt mich! das sollt ihr wissen.“

Comiczeichner Chris Scheuer erwiderte auf Facebook: „Was für eine wunderbare Deutung! Ich fühle mich mit-geehrt!“ Somit stand da plötzlich ein eigentünlicher Vorbote des Nachmittags, als sich Menschen vor dem Gleisdorfer Kirchriegel trafen, um über Kara Tepe zu reden. Ganz egal, wer jemand ist, was jemand getan oder nicht getan, da gilt doch: „Es gibt mich! Das sollt ihr wissen.“

Ich nenne es nicht „Protestveranstaltung“. Es war eher eine Gesprächssituation, in der sich einige Menschen exponiert haben. Im Kern handelte dieses Treffen davon, daß wir nicht einverstanden sind, wie Menschen auf europäischem Boden im Elend gehalten werden.


Wir sind ferner nicht einverstanden, daß unsere Regierung, einer problematischen Doktrin folgt, die es unter Strafe stellt, folgendes zu tun: Privatpersonen engagieren sich, stellen Ressourcen bereit, möchten Verantwortung übernehmen, um einige der Elenden herzuholen und ihnen ein neues Leben zu eröffnen.

Man würde, wie es der ehemalige (ÖVP-nahe) Bankmanager Christian Konrad in seiner diesbezüglichen Kritik betonte, als Schlepper eigestuft und sanktioniert werden. Eines der Motive für diese Gesetzeslage ist völlig unübersehbar. Die Regierung möchte in ihrem Kurs keinesfalls durch Privatpersonen behelligt und womöglich beschämt werden.

Aber in einer Res publica bleibt derlei nicht in Stein gemeißelt. Das wird nun debattiert, verhandelt, womöglich beizeiten revidiert. Bei diesem erwähnten Gleisdorgfer Treffen, von der „Solidarregion Weiz“ initiiert, haben sich einige Personen exponiert, deren 60., teils 70. Geburtstag schon hinter ihnen liegt.

Menschen, die sich über Jahrzehnte in der Wirtschaft, im Sozialwesen, im Kulturbereich, in der Regionalpolitik bewährt haben. Damit meine ich: deren Ansichten haben ein Gewicht, das nicht von Tich gewischt werden kann. Es schöpft sich aus schillernden Leben mit komplexen Erfahrungen, weil da viel gelungen ist.

Theologe Fery Berger, Buchhändlerin Helga Plautz, Pfarrer Giovanni Prietl, Historiker Siegbert Rosenberger, Unternehmer Erwin Stubenschrott, Pädagoge Franz Wolfmayr, Unternehmer Josef Zotter (ja, der mit Schokolade)...

Freilich kann man anderer Meinung sein, ihnen widersprechen. Aber ob man ihre Ansichten widerlegen kann, liegt nun auf dem Prüfstein. Zu dieser Frage bringen sich in der Region weit mehr als die hier genannten Personen ein.

Das ist Arbeit an einem regionalen gesellschaftlichen Konsens. So geht Demokratie. Es wird noch zu Kontroversen führen. Und es wird den Lauf der Dinge verändern. Denn da bleibt, was ein Fundament menschlicher Gemeinschaft ist, nämlich zu beachten, daß manche nur sehr leise oder sogar stumm mitteilen: „Es gibt mich! Das sollt ihr wissen!“

Der Grund ist einfach. Es kann keine Demokratie geben ohne die Frage: „Was ist mit denen, die nicht gehört wurden?“

+) Routen und Gegend

P.S.:
Bei diesem Treffen kam auch die recht populäre Frage nach der „kulturellen Unterwanderung Europas“ zur Sprache. Diese substanzlose Unterstellung verweist gewöhnlich auf eine völlige Unkenntnis der Geschichte Europas. Das werde ich noch genauer darlegen.


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