5. Februar 2021
Transformation. Radikal.
Umfassend.
Das ist nun Blatt Nummer 3.000 meines Logbuchs. Das
erste Blatt stamm vom
31.
Dezember 2003 und zeigt zwei kuriose Motive. Ein
amerikanisch anmutendes Opel Rekord C-Coupé, das ab Mitte
der 1960er Jahre gebaut wurde. Und der „Estaric I“, das
Luftschiff der Renner-Buben. Ein Thema, mit dem ich heute
gerade intensiver befaßt bin: [Link]
Jenes Jahr 2003 war schon formeller Teil meines
Langzeit-Projektes „The Long Distance Howl“, dessen geplante
zwanzig Jahre sich eben ihrem Ende zuneigen. (Es ist derzeit
das vorletzte Jahr.) Wir merkwürdig, daß mir nun diese
Pandemie eine Situation beschert hat, in der alles, was es
für mich herauszufinden gab, schärfer konturiert und
deutlicher sichtbar wird.
Ich hab eben diese ersten
zehn Monate Corona-Zeit als einen gut überschaubaren
Zeitraum hinter mir, in dem viele Annahmen laut wurden, die
Pandemie plus die Maßnahmen der Regierung hätten den
Kulturbetrieb gestürzt. Ich teile diese Ansicht keinesfalls.
In eben dieser Krise hätte sich bewähren können, was Kunst-
und Kulturschaffende sich als kreatives Potential
gutsschreiben.
Es erstaunt mich, wie viel an
Ressourcen in Protesthaltungen ging und wie vergleichsweise
wenig in andere kulturpolitisch relevante Schritte. Mir
scheint, da büßen wir eine spezielle Borniertheit der
letzten 20 Jahre, in denen uns rudelweise Leute aus der
Sozialarbeit auf das Kunstfeld kamen und folglich
Sozialarbeit zur Kunstpraxis erklärt haben.
Ich hab etliche solcher Herzchen kommen und gehen gesehen, die
dann, als sich ihre Großsprecherei nicht in relevante
Kulturarbeit umsetzen ließ, wieder in den Sozialbereich
abgehauen sind, wo sie derzeit eh gebraucht werden. Ihr Geblöke,
wie das mit Kunst und Kultur so sei, haben sie zum Glück
mitgenommen, nachdem sie die angebliche "Bobo-Kultur" doch nicht
geknackt haben und auch andere avisierte revolutionäre Akte vermissen
ließen.
Sobald die Menschheit eine leistungsfähige Praxis
entwickelt hat, um die Ausbreitung diverser Covid-19-Stämme zu
stoppen, werden wir natürlich nicht zum Status quo ante
zurückkehren, auch wenn manche davon träumen. Das verblüfft mich
derzeit vielleicht am meisten. Ich hatte mit dem Projekt und den
20 Jahren Laufzeit gehofft, es werde sich ein interessanter
Prozeß darstellen lassen. Nun wird es eine Transformation.
Radikal. Umfassend.
Meine ziemlich unaufgeregte Haltung
kommt übrigens aus der Tatsache, daß ich in diesem umbrechenden
Kulturbetrieb schon 2018 untergegangen bin. Ich hatte also Zeit
zur Einübung, auch wenn ich naturgemäß sehr enttäuscht war, daß
2020 keine guten Geschäfte zuließ, keine Erholung brachte, daß
die Komfortzone geschlossen wurde.
Das Taumeln der
Branche hatte sich 2010 abgezeichnet. Da waren aber noch genug
Ressourcen im Spiel, daß man die Schlingerbewegungen ignorieren
konnte. Das änderte sich ab 2015 radikal, was mir aber auch erst
im Rückblick ausreichend deutlich wurde. Wie erwähnt, ab 2018,
als der Betrieb für mich kippte, konnte ich manche Zusammenhänge
besser erkennen.
Ich staune, wie viele Leute aktuell
immer noch meinen, Kulturpolitik und Seuche seien die
wesentlichen Quellen unserer Probleme. Nun hat zwar die
Kulturpolitik weitgehend versagt, hat die Seuche alles
verschärft, aber das gesamte Kräftespiel ist in tieferen Wurzeln
begründet.
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