28. Jänner 2021

Fake News

Viele in meiner Generation haben eine kleine Sammlung von Standards im Ohr. „Seid ihr alle da?“ (Kasperl). „Griaß eich die Madln, servas die Buam!“ (Heinz Conrads). „Alles Walzer!“ (Opernball-Tanzmeister). „Won‘t get fooled again!“ (The Who). Und inzwischen: „You are fake news!“ (Donald Trump).


Das politisch extrem belastende Fabulieren des Donald Trump hat weltweite Wirkung gezeigt. Was Trumpsters und Trumpettes heute immer noch als seine Qualitäten nennen, etwa daß er keinen Krieg begonnen habe, steht in keinem erträglichen Verhältnis zu den Schäden, die er ausgelöst hat.

In meinem Metier wiegt besonders, daß die Wertschätzung für Wissensarbeit und die Mühen des Wissensgewinns schon vorher schwer beschädigt war, was der Kulturbetrieb seit 2010 massiv zu spüren bekam; auch wenn es vielen erst jetzt in der Pandemie dämmert. Nun aber ein so weitreichender Schlag, das fasse ich noch gar nicht.

Erkenntnis, die sich auf getane Arbeit stützt, ist eine andere Qualität, als diese Flut an Privatmythologien, mit der augenblicklich Feste gefeiert werden. Beides hat jeweils ganz unterschiedliche Konsequenzen für die Demokratie und den sozialen Frieden.


Man mag sich meine Beunruhigung vorstellen, wenn sich Rudel von Menschen bei uns auf Trump und Putin berufen, während sie behaupten, die Demokratie zu verteidigen. Ich finde es obszön, daß sich Menschen in ihrer Kritik an Regierungsmaßnahmen zur Pandemie als „Terroropfer“ gerieren, sich mitunter gelbe Sterne aufnähen und sich mit dem Holocaust assoziieren.

Kleine Einschub: gestern jährte sich der Tag der Befreiung von Auschwitz im Jahr 1945. Die Referenzpunkte zu solchen Fragen liegen eigentlich klar vor uns. Da draußen ist also viel Gezänk und Geplärre, das sich mit vielfach völlig haltlosen Behauptungen dekoriert.

Heute reicht es schon, daß bei solchen Zusammenrottungen jemand als Medienmensch erkennbar wird, um das Geschrei auszulösen. „Lügenpresse!“ gehört dabei noch zu den netteren Zurufen und körperliche Attacken haben sich gehäuft.


Auch ich zähle naturgemäß zu den „Schlafschafen“ und „Systemknechten“, wo ich mich so einem Mob inhaltlich nicht anschließen kann. Allein die Forderung, sich nur zu Fragen zu äußern, für die man sich in einem Mindestmaß sachkundig gemacht hat, läßt einen heute suspekt erscheinen.

Als Teenager hatten mich die Reportagen von Günter Wallraff umgehauen. Es gab laufend Debatten über den Boulevard und die Springer-Presse galt als Inbegriff dessen, was man heute Fake News nennt. Wenigstens bis 1980 galt es noch als eher anrüchig, für ein Springer-Blatt zu schreiben.

Ich denke, zu jener Zeit tauchte Vera Russwurm im heimischen Fernsehen als Tritsch-Tratsch-Girl auf. Damals war der etwas spießbürgerlich daherkommende Peter Rapp das Härteste, was man in einer Jugendsendung des ORF finden konnte. (Naja, Uschi Nerke gastierte mit dem deutschen „ Beat Club“ gelegentlich.)

Russwurm und rund 20 Jahre später der Zufallsfund Barbara Karlich, beide schließlich Institutionen des Boulevards in österreichischen TV-Programmen. Aber dem stand immerhin noch bis Mitte der 1990er eine meist hochkarätige Diskussionsrunde im „Club 2“ gegenüber.

Vom „Infotainment“ zum „Tittytainment“; die Kritik von Neil Postman („Wir amüsieren uns zu Tode“, 1985) ist längst verklungen. Es bleibt sinnlos, das zu beklagen. Wir müssen einfach von vorne, wenn auch nicht bei Null beginnen, das Verhältnis zwischen Medienanwendung und gesellschaftlicher Realität zu verhandeln, zu klären, zu bearbeiten.


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