27. Jänner 2021

Parmesankristalle

Wie konnte das bloß passieren? Nun liegen rund zehn Monate hinter uns, seit Österreich erstmals in den Lockdown ging, und ich bin versehentlich Vegetarier geworden. Fast. Mein Fleischkonsum liegt die meiste Zeit bei Null. Das war nicht geplant. Es hat sich ergeben.


Kartoffel und Kartoffelpüree. Reis. Reis mit Bohnen. Gemüsereis. Gemüsereis mit Scotch. Gemüse. Nudeln. Nudeln und in Olivenöl gebratener Knoblauch. Brot. Ein Kilo für fünf Tage. (Dann sind die Stücke schon recht hart.)

Butter. Oh ja, Butter. Das ist eigentlich nicht mehr als Gras auf dem Weg durch die Kuh. Joghurt. Auch Gras via Kuh. Ich kann nicht wiederstehen und mische es gelegentlich mit Mineralwasser. (Ich denke gerne an Istanbul und Ayran.)

Außerdem habe ich momentan ein Parmesan-Phase. Den esse ich in kleinen Stücken, um auf die feinen Kristalle beißen zu können. Das macht mir einiges Vergnügen. All das wäre ohne Wein nicht vollständig. Derzeit muß es allerweil Blaufränkischer sein. Den kühle ich, weshalb man mich für einen Barbaren halten könnte.


Aber das bin ich ohnehin, denn ich trinke ihn pur. In der Antike war das verpönt. Nur Sklaven und Barbaren tranken den Wein pur. Der gebildete und gut situierte Mann mischte ihn mit Wasser. Vermutlich wäre ihm sonst der Logos zu leicht verrutscht.

Mein Logos hält das aus. Der rutscht zwar im Falle von Trunkenheit auch herum wie schlecht verzurrte Schiffsfracht bei schwerer See, aber mir macht das nichts, weil mein Denken ohnehin eine Mischung aus Zerrüttung und Sprunghaftigkeit ist.

Das bedeutet, in meinem Fall ist jede Schlingerbewegung des Logos ein Gewinn, weil er sich dann für Augenblicke wieder ganz und unversehrt fühlt. Was geschieht, falls man dabei zu schwer ins Trudeln kommt? Na, dann kippt der Logos in den Mythos und plötzlich hat man unkontrollierte Gotteserfahrungen, spontane Wutausbrüche, solche Vorkommnisse.


Ich aber, in der Trunkenheit, bin ein friedfertiger Mensch, von einer fundamentalen Fröhlichkeit erfüllt und ganz ohne den Drang laut zu singen. Man könnte sagen, im trunkenen Zustand bin ich ein besserer Mensch.

Heute, naja, heute wäre ich zwar entsprechend trinkfreudig gelaunt, aber da ist bloß noch ein Fläschchen Eiswein, das mir Freund Franz überlassen hat. Davon wird einer wie ich noch nicht geläutert. Und der Scotch, nein, heute kein Scotch!

Und das fiel mir auf: seit gestern neige ich dazu, meine Hausstand zu sichten, um hölzerne Gegenstände aufzuspüren. Ich betrachte die Stücke vergnügt auf Gebrauchsspuren hin. Bei uns wird sowas nicht besonders ernst genommen oder gar geschätzt, denn der Verschleiß von Dingen gilt als wenig reputierlich.

In der japanischen Kultur gibt es für solche Betrachtung und Achtung des Verschleißenden sogar einen eigenen Begriff: Wabi-Sabi. In Japan hat Wahrnehmung stellenweise eine andere Tiefe. So bestand Meister Akira Kurosawa zum Beispiel darauf, daß die Ausstattung eines Film-Sets nicht bloß oberflächlich war. Stand da etwa ein Medizinschränkchen im Zimmer, dann sollte es auch mit Medizin gefüllt sein. Ich weiß, was das bedeutet…

P.S.:
The Guardian meldete eben: „Proud Boys leader Enrique Tarrio was an FBI informant“. Oh Boy! Karma is a Bitch!


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