10. Jänner 2021
Die zehnte
Tele-Drink-Session
Gestern die zehnte Session via Facebook im zweiten Lockdown,
was besagt: eben runden sich zehn Wochen der bedingten
Sperre. Dazu samstags die Anmerkung: „heute geht es um
19:00 uhr mit einem friulanischen merlot in die letzte
tele-drink-session, die ich abhalten werden. erstens hängt
mir der lockdown obern heraus, zweitens brauche ich ein
neues ritual für diese merkwürdige zeit.“
Davor schon dieses „grösseres
eiswürfelkontingent... gute sache!“ Denn: „ich
hätte natürlich schon vor jahren draufkommen können, daß
eine zweite form im tiefkühlfach die fragen meiner
eiswürfel-logistik grundlegend entspannt.“ (7.1.21) Das
heißt nicht, ich würde grade der Trinkerei verfallen,
sondern: ich arbeite am Zustand meiner Küche.
Es
geschieht ohnehin zu vieles zu heftig. Ich hab mir einen
Ordner angelegt, den ich „Alarmabteilung“ nenne. Da kommen
alle Notizen zu akuten Vorfällen rein, auf die ich antworten
wollte. Das soll sich erst etwas legen. Der Sturm aufs
Kapitol, ergaunerte akademische Würde, die
Krisenkommunikation der Regierung, solche Sachen.
Ich
hab einen gut geölten Reflexionsapparat und eine sehr
leistungsfähige Fantasie. Das ist mir vermutlich im
Augenblick von entscheidender Nützlichkeit, um nicht den
Verstand zu verlieren. So wandelt sich meine stellenweise
Konfusion durch den Lauf der Dinge in eine Art Traurigkeit,
die in einem ziemlich unberechenbaren Schlafverhalten
waltet.
Apropos Schlaf! Die heute aufgeworfene Facebook-Erinnerung vom
10. Januar 2013 lautet: „manchmal schlaf ich aufm sofa ein
und merks nicht, nicht amal beim aufwachen. aber diesmal schon,
weil ich geträumt hab, ich sei der chauffeur vom andy warhol,
der wirklich anstrengend ist, und da war klar: ich muß gechlafen
haben. nun weiß ich aber nicht: sind das gute oder schlechte
zeichen?“
Was an meinem Verstand rüttelt? Ich hatte
schon in den letzten Jahren oft das Gefühl: ich falle aus der
Welt. Ich verstehe nicht, was gerade gilt und weshalb meine
Verfaßtheit dazu so im Kontrast steht. Das hatte sich im
Allgemeinen gezeigt, aber auch bei direkter Berührung mit
Menschen in meiner nächsten Nähe.
Inzwischen verstehe ich
besser, was geschehen war. Wie so oft, wenn eine ganze
Gesellschaft zunehmend unter Druck gerät, wenn einzelne Menschen
diesen Druck massiv zu spüren bekommen, werden ihnen jene zur
Bürde, die ihnen widersprechen.
Das verlockt zu einer merkwürdigen Entlastungsstrategie. Was dem
allgemein wachsenden Druck entspringt, wird zu einer Art
individuellem Versagen umgedeutet. Plötzlich können wir nicht
mehr gemeinsam gegen den Druck anstehen, unsere Ressourcen
bündeln, um in dem, was noch möglich ist, ein gutes Leben zu
haben. Es muß eine Hierarchie her.
Dabei habe ich Fragen
kassiert, die ich so zusammenfassen möchte: Bist du ein
Vernunftflüchtling oder ein Idiot? Willst du nicht oder hast du
deinen Verstand verloren? (Richtig! Diese Worte sind meiner
Foucault-Lektüre geschuldet.)
Zugegeben, das ist eine
sehr interessante Frage: Vernunftflüchtling oder Idiot? Ich
deponier das im Folder „Alarmabteilung“ und denk drüber nach...
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