31. Dezember 2020
Denken. Oder auch nicht.
Hier könnte heute etwas Sinnstiftendes stehen. Oder etwas
Tröstliches. Oder zumindest etwas Tiefsinniges. Ha!
Tiefsinnig! Das Wort finde ich fast so lustig wie
querdenken. Oder andenken. Oder hinterfragen. (Das macht man
so am 31. Dezember.)
Was sind das bloß für Leute,
denen relevantes Denken als Sonderfall erscheint, so daß sie
eigene Begriffe dafür entwerfen? Als würde das Denken
üblicherweise linear verlaufen, schön geradeaus, auf daß ein
Mensch von singulärer Exzellenz dann quer denken würde, um
besondere Gedanken zu haben. Was für ein Mumpitz! Das ist
selbst als Metapher Schrott.
Wie denkt man etwas an? Na? Das ist so wie „ein bißchen
schwanger“. Oder. Im Film „The Magic of Belle Isle“ gibt Morgan
Freeman einen Autor mit Schreibblockade. Was für ein Wort!
Schreibblockade. So als wäre es des Menschen Normalzustand,
permanent zu schreiben, vor allem Bedeutendes zu schreiben.
Darin ist eine Unterbrechung dann… genau! Eine Blockade. („Ich
will! Ich will!“)
Wenn das Schreiben gelingen soll,
braucht das freilich Disposition. Doch die ist eben kein
Dauerzustand, so wie das Atmen, dessen Blockade sofort nach
ärztlicher Betreuung verlangen würde. Es ist genauso ein
Normalzustand, daß man nicht schreibt. (Freilich einer, der mir
eher unangenehm ist.)
Ich schreibe so gut wie jeden Tag
und träume manchmal davon, daß ich jetzt bald wach sein werde,
um an einem Text weiterzuarbeiten. Es braucht dazu eine Mischung
aus Rahmenbedingungen, Wollen und eben… Disposition.
Mir
mißfällt, wenn dieses Instanz in mir, die das Schreiben regelt,
in Schweigen fällt. Ich würde es etwas plüschig so bezeichnen:
der Geist ermüdet, wie man auch den Körper nicht permanent
belasten kann. Es ist aber eigentlich Anmaßung, zu erwarten, das
würde nie geschehen.
Wollten sich mein Geist und meine
Schreibinstanz über Wochen, Monate oder ein Jahr nicht erholen,
hielte ich den Begriff Schreibblockade für eine Ausrede, was
bemäntelt, in welche Kräftespiele ich verwickelt bin. Würde
derlei langfristiger Aussetzer geschehen, wäre mir klar: mein
Leben ist Scheiße! Daran müßte ich etwas ändern.
Gut, ich
will nicht abstreiten, wäre mir eine Woche lang nie nach
schreiben, käme ich ins Grübeln, woran das liegt. Wenn sich
keine anderen Plichten (oder Vergnügen) vordrängen, beginnt
jeder meiner Tage mit einem Kübel Kaffee und dem Gang an den
Schreibtisch.
Es gab Menschen in meiner Nähe, die hielten
mich deshalb für einen Workaholic. Lustig! Für mich ist das
Schreiben zuallererst und vor allem anderen ein
Reflexionsinstrument. Reflektieren. Sortieren. Erzählen.
Anschaulich machen. Ein radikaler Prozeß des Dialoges mit sich
selbst und der Weltaneignung. Also auch: ein Vergnügen.
Das findet sich in anderen Genres ähnlich. So sagt etwa Graphic
Novelist Chris Scheuer: „Wenn ich es nicht verstanden hab,
dann hab ich es noch nicht gezeichnet.“ Deshalb: das Denken
ist nichts Besonderes, ist so banal wie das Atmen.
Ob es
was taugt, sinnstiftend, tröstlich, tiefsinnig, ist mir
eigentlich vollkommen egal. Hauptsache es fließt. Und da ich
eine akute Deppen-Allergie hab, regelt sich der Rest von selbst.
Und der 31. Dezember? Na, was soll sein?
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