22. Dezember 2020

Das Elend der Kinder von Kara Tepe

Am 21.12.2020 war zu notieren, die schwarz-grüne Regierung habe im Parlament erneut gegen die Aufnahme von Flüchtlings-Kindern aus Lesbos gestimmt. Auf Lesbos ist der Zugang zum Lager Kara Tepe für Nichtregierungsorganisationen verboten.


Ich bin in meinem Wissen über dieses Thema auf Kolportage angewiesen, denn ich war selbst nicht vor Ort. Also geht es um Vertrauensfragen. Traue ich Kräften von „Ärzte ohne Grenzen“ zu, daß sie uns gemäß der Faktenlage stichhaltig berichten, was sie im Umfeld von Kara Tepe gesehen und was sie behandelt haben? (Aber sicher!)

Rattenbisse, ein vergewaltigtes Kleinkind, Kinder mit Selbstmordwünschen, dazu Frauen, die sich nachts nicht mehr aus den Zelten trauen, um ihre Notdurft zu verrichten, weil sie Übergriffe, will sie sexualisierte Gewalt befürchten müssen. Männer, von denen sich nicht sagen läßt, ob ihre Verzweiflung schneller voranschreitet als ihre Brutalisierung. Was in den Frauen vorgeht, erahne ich nicht, weil sich deren Kummer offenbar weniger markant äußert, so daß man es über diese Entfernung hinweg bei uns kaum wahrnehmen kann.

Was zu diesen Umständen führte, hat eine Vorgeschichte von mehreren Jahren. Ich bekomme nun von honorigen Leuten Auskunft, diese Elenden seien illegal hier, hätten nicht kommen sollen. In derlei zynische Mitteilungen werden unbegleitete Minderjährige eingeschlossen.

Das korrespondiert mit den seit etlichen Jahren in Österreich und Deutschland geäußerten Ansichten vaterländischer Kräfte, Europa müsse für Flüchtlinge unattraktiv werden. Es hieß vielfach, die „Gutmenschen“ seien schuld am Flüchtlingsstrom, der uns erreicht. Sie würden den Schleppern zuarbeiten und ein kriminelles Milliardengeschäft unterstützen. Man müsse abschreckende Maßnahmen setzen, um Europa als Flüchtlingsziel unattraktiv zu machen.


Das Elend der Kinder von Kara Tepe ist Ausdruck solcher Versuche einer Abschreckung. Wir haben ein klares Wort dafür, Menschen in Schrecken und Elend zu versetzen, um eine Botschaft anzubringen. Wir nennen das Terror.

Der Zustand von Kara Tepe ist kein Unglücksfall, kein Schicksalsschlag, sondern das Ergebnis eines strategischen Vorgehens politischer Kräfte. Wer das mitträgt, rechnet damit, diese Strategie innenpolitisch zu überstehen, um außenpolitische Effekte zu generieren.

Dieses Vorgehen bemäntelt, daß die EU mindestens seit 2015 ihre Gesetze nicht auf Stand bringen konnte und ihre Verwaltung nicht entsprechend ausstatten wollte, um aktuelle Flüchtlingsströme kompetent zu bearbeiten.

Im Elend der Kinder von Kara Tepe zeigt sich eine politische Verkommenheit, die in Europa natürlich nicht neu ist. Ich hatte eben ein Tänzchen mit dem weststeirischen Unternehmer und vormaligen Landtagsabgeordneten Manfred K. Er riet mir und anderen: „Gehen Sie doch hin und helfen Sie!“

Das illustriert eine Entpolitisierung der Politik. Ein politisch erfahrener Bürger schiebt Aufgaben des Staates ausdrücklich auf Privatpersonen ab, scheint also nicht zu unterscheiden: Was sind Möglichkeiten und Agenda der „Staatskunst“ (Politike) und was die des Gemeinwesens (Polis). Da er aber als erfolgreicher Unternehmer und erfahrene Politiker natürlich genau weiß, was er sagt und tut, werden seine zynischen kleinen Einwürfe via Facebook als Teil dieser Strategie erkennbar.

Manfred K. agiert zugunsten des Elends der Kinder von Kara Tepe, um eine abschreckende Botschaft in die Welt zu schicken. Wie schon erwähnt, das ist nicht einfach so geschehen, sondern es ist gemacht worden. Da hat eine politische Instanz an Lagerinsassen ein Exempel statuiert.

Dieses Exempel ließ die Brutalisierung im Lager hochgehen, während alle schon geschwächt waren, weil es bezüglich Ernährung, Hygiene und medizinischer Versorgung seit Jahren zunehmende Mängel gibt. Wer Menschen bewußt solchen Bedingungen ausliefert, um eine abschreckende Wirkung zu erzeugen, übt Terror aus.


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