12. Dezember 2020

Homo sapiens sapiens II

Kulturpolitik handelt nicht von Kulturmanagement, sondern von der Gestaltung des Gemeinwesens, in dem wir uns ein geistiges Klima von bestimmter Mindestqualität wünschen. Diese Zusammenhänge bestimmen sehr wesentlich über die Zeugungsfähigkeit einer Gesellschaft. (Das hat selbstredend seine Querverbindungen zur Bildungspolitik und einigen anderen Genres.)


Wie auch immer, es geht dabei stets um die Überwindung des Faustrechts und in der geschmeidigeren Version: um das Bewältigen des Prinzips „Protektion geht vor Kompetenz“. Wenn sich Kulturpolitik solchen Zusammenhängen nicht stellt, erleben wir – wie derzeit – eine galoppierende Verschnöselung des Landes, der Zusammenhänge von Staat, Markt und Zivilgesellschaft.

Stichwort Faustrecht: Es ist mir unklar, wie Charles Darwin dazu kam, daß man ihm den Begriff Sozialdarwinismus umgehängt hat. Wer Aspekte der biologischen Auslese auf soziale Kategorien der Menschen umlegt, landet früher oder später im Faschismus. Darwins Ansicht vom „Survival of the Fittest“ besagt ja nicht: es überlebt, wer am härtesten zuschlägt. Darwin meinte je eine Spezies, die am besten an ihre Lebensbedingungen angepaßt sei, sie überlebt als Art.

Der nackte Homo sapiens sapiens hat keine Körperwaffen und keinen Wetterschutz. Was aber an unserer Art noch viel radikaler ist: unzählige Tierarten können sich kurz nach der Geburt aus eigener Kraft bewegen und recht bald eigenständig leben. Der Mensch nicht.

Menschenkinder brauchen dafür sehr viel länger, was bedeutet, sie haben die Chance, in dieser Art einer nach außen verlängerten Teilschwangerschaft spezielle Potentiale zu entfalten, welche Tieren nicht offenstehen. Dazu braucht es Gemeinschaft, denn eine Frau mit frisch geborenem Kind käme in der Wildnis nicht weit, hat auch in der Zivilisation sehr schlechte Karten.


Wer nun „Survival of the Fittest“ als Faustrecht deutet, wer jene legitimiert, die mit größter Rücksichtslosigkeit und Gewaltbereitschaft vorgeht, ignoriert, daß unsere Vorstellung von Evolution nicht das einzelne Wesen meint, das Individuum, sondern – wie erwähnt - die Spezies.

Wir kennen ungezählte Beispiele, wo einzelne Menschen untergingen, weil sie brutaleren Leuten unterlegen sind. (Statt Darwin drängt sich eigentlich Niccolò Machiavelli als Patron solcher Verhältnisse auf.) Aber genau das weist den Weg zum Untergang einer Spezies.

Mein Vater, einst ein Soldat der Tyrannis, erwähnte in manchen Familienangelegenheiten gerne, Mussolini habe den „Sacro Egoismo“ hochgehalten. Man müsse eben ab einem gewissen Punkt auf sich selbst achten.

Dieses Geschwafel vom „Heiligen Eigennutz“ geht zwar auf den Großen Krieg und die Schlacht am Isonzo zurück, aber ich glaube gerne, daß dann auch die Faschisten ihren Pathos mit solchen Phrasen dekoriert haben.

Eigentlich sind wir auf eine weitreichende Balance zwischen Eigennutz und Gemeinwohl angewiesen, wenn eine große Gemeinschaft und ein ganzes Land Wohlergehen genießen sollen. Wie man zum Beispiel sozialen Frieden ohne Verteilungsgerechtigkeit sichern möchte, wäre mir ein Rätsel.

Da wir alle um Ressourcen und um Rang kämpfen, hat sich über Jahrtausende gezeigt, daß es ohne ethische Konzepte und breiten Konsens darüber nicht geht. Darum sind ja auch habgierige Menschen so eine Katastrophe für die Gemeinschaft, denn sie höhlen diese Prozesse aus. Ich sehe, daß sich in der Steiermark die Kulturpolitik umfassend erschöpft hat.

Gerade die Pandemie läßt deutlich werden, daß Staat, Markt und Zivilgesellschaft gleichermaßen in veralteten Konzepten hängengeblieben sind. Leider eben auch auffallend viele Kunst- und Kulturschaffende…


-- [Kulturpolitik] --
[Kalender] [Reset]