4. Dezember 2020
Die Verschnöselung
Österreichs I
Die alte Bourgeoise, von der Geschichtsbücher noch
erzählen, hatte sich einst gegenüber den noch älteren Eliten
(Adel und hoher Klerus) durchgesetzt, politisches,
gesellschaftliches und kulturelles Gewicht errungen. Das
beruhte sehr wesentliche auf wirtschaftlichen und
kulturellen Kompetenzen, zuzüglich nötiger Netzwerkerei.
Die neue Bourgeoisie unserer Gegenwart wird offenkundig von
Maulhelden und anderen Grazien belebt, deren Hunger nach Rang
enorm ist. Mich erstaunt seit einiger Zeit, wie satt sich diese
Bourgeoisie auch aus Kreisen rekrutiert, die weltanschaulich
deutlich linke Positionen äußern. Ein Widerspruch? Keineswegs!
Ich sehe in dieser Entwicklung allerhand problematisches
Personal an diesem und jenem Ruder, das reicht von meinem
privaten Umfeld bis in Österreichs Regierung. Vielleicht wäre
das erträglicher, würde man mir nicht permanent frech
auftischen, wie kompetent bis großartig diese Leute angeblich
seien. Die Social Media gehen von solcher Heuchelei und
Hofberichterstattung derzeit über.
Gleichzeitig haben
Kräfte der Spitzenpolitik die Kühnheit, publizistische Profis
vor laufender Kamera zu maßregeln, wenn ihre Selbstdarstellung
in Frage gestellt wird. (Sie erinnern sich an das Schlagwort
„Message Control“?) Das sind Strategien, mit denen man die
Demokratie verhöhnt.
Soweit es politische Bereiche
angeht, halte ich für unübersehbar, daß erhebliche Anteile der
Parteikader Public Relations an die Stelle von Politik gesetzt
haben. Auch das Spottet der Demokratie. „Der Standard“ am 25.
November 2020: „Regierung schreibt Media-Etat um 180
Millionen Euro aus“. „Parallel zur 30-Millionen-Ausschreibung
für Kreativleistungen".
„Kontrast.at“ präzisierte am Tag zuvor: „Es geht dabei wohlgemerkt nur um die Arbeit der Agentur. Die kosten für Inserate oder ähnliches sind da noch nicht budgetiert. Für Mediaschaltungen gibt es nämlich eine eigene Ausschreibung. Umfang: 180 Millionen Euro, ebenfalls ausgelegt auf den Zeitraum bis 2024.“ Dazu lautete ein Zwischentitel:
„Regierung hat schon hunderte PR-Mitarbeiter“.
Lassen wir unsere Phantasie
spielen. Nehmen wir an, Sie hätten einen Betrieb
aufgebaut, der rund 80 Menschen Arbeit gibt. Sie
befinden sich grade in einer Phase, da Ihnen viel
gelingt, was bedeutet, demnächst würde ihre Belegschaft
auf wenigstens 100 Personen anwachsen.
Damit
gehörten Sie immer noch zu den etwa 90 Prozent
österreichischer KMU, doch Ihr unternehmerisches
Geschick würde sachkundigen Leuten klar machen: dieses
Land lebt und gedeiht, weil es viele solche Betriebe
gibt, die kompetent geführt werden.
Das läuft
nicht, weil mir politisches Personal etwas von
„Leistungsträgern“ faselt, sondern weil unzählige
Geschäftsleute, Männer wie Frauen, einen sehr guten Job
machen. (Ich habe Menschen kennengelernt, die kommen –
branchenbedingt – mit etwa 20 Leuten aus, spielen aber
mit den von ihnen entwickelten Produkten auf dem
Weltmacht mit.)
Nehmen wir also an, Sie hätten so
eine Firma aufgebaut, der Laden brummt, Sie haben
gemeinsam mit ihren Leuten bisher noch jede Krise
überstanden. Würden Sie Kanzler Kurz als Geschäftsführer
einstellen? Wären Ihnen wahlweise die Minister Blümel
oder Nehammer recht. Käme für Sie
Wirtschaftsbund-Präsident Mahrer in Frage?
Für
mich nicht! Keiner von ihnen. Das heißt, ich hielte keinen für ausreichend
vertrauenswürdig und beruflich versiert, ihnen die
Geschicke meines Betriebes in die Hände zu legen. Es
gibt ferner einige Regierungsmitglieder, denen ich so
viel galoppierende Inkompetenz zutraue, daß ich sie mit
einem Prügel in der Hand von meinem Unternehmen
fernhalten würde.
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neue Bourgeoisie] --
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