7. September 2020
Mein Kontinent VIII
Mir fehlt nun die Laune, mit der
Aufzählung unfreundlicher Zusammenhänge fortzufahren. Ich
mag annehmen, die aktuelle Pandemie hat uns keine Krise
beschert, sondern eine bestehende Krise vertieft und
verdeutlicht.
Ich bleib bei meiner Ansicht, daß die
Krise der Wandel ist, nicht die Katastrophe, in die ein
Wandel freilich münden kann. Ohne Krise ist kein Leben. Was
die letzten Monate verdeutlicht haben, weist meine Leute
freilich nicht gerade als krisenerprobt aus.
Jasenovac
Vielleicht
kann mir das egal sein, weil diese kleine Serie von Glossen,
bezogen auf das Zeitfenster 2010 – 2015 – 2020, schon deutlich
gemacht haben mag: in meinem Metier war diese ganze Dekade von
einem Anschwellen der Belastungen geprägt.
Was dann
Covid-19 an nächsten Erschwernissen in mein Leben gebracht
hat, beeindruckt mich überhaupt nicht. Allerdings finde ich
bedrückend, was rundum an ungezügelter Angriffslust, an Geplärre
und Gezänk hochgegangen ist.
Ich kann nicht verstehen,
wie es kommt, daß Menschen sich erlauben, auf andere Leute
völlig ungebremst loszugehen. Gut, ich kann es mir allemal
erklären. Aber danach bleibt nur Kopfschütteln.
Derzeit
bewährt sich, daß ich in Wildwasserfahrten geübt bin und einen
Beruf habe, der mir Abstand ermöglicht; Abstand zu ungezügelten
Leuten, deren miserables Benehmen ich nicht in meinem Leben
haben will.
Kozara
Ich hab hier kürzlich den
Untergang Jugoslawiens erwähnt, meine Begegnungen
mit Menschen, deren Leben dabei in Gefahr gekommen
war und die den Bedrohungen entkommen konnten. Das
ereignete sich zum Teil auf Fahrten zu jenen Orten,
wo Menschen wie Barbaren übereinander hergefallen
sind.
Das alles unterstreicht, wie sehr wir
eigentlich Grobheiten meiden sollten, und zwar schon
im Sprechen über Dinge, denn es wird schnell ein
Krieg der Worte daraus und solcher Krieg der Worte
zieht in den meisten Fällen letztlich Tote nach
sich.
Man muß kein Genie sein, um das am 20.
Jahrhundert ablesen zu können. Ich hab im fünften
Eintrag dieser Reflexionen Dubravka Ugresic und ihr
Buch „Die
Kultur der Lüge“ erwähnt. Der Schlußsatz in
Abschnitt 15. lautet: „Nur die Toten lügen
nicht, aber keiner glaubt ihnen.“
Welcher Warnung bedürfte es denn noch, um sich im
Zaum zu halten und nicht bedenkenlos gegen andere
vorzugehen? Von Jasenovac über Vukovar, Omarska und
Trnopolje, über Srebrenica nach dem kosovarischen
Racak sind auf meinem Kontinent Zeichen in die Orte
und Menschen gegraben, sind Erinnerungen markiert,
die man nicht mißverstehen kann.
Srebrenica
Bei der Lektüre von Hochegger und Wegenstein habe
ich die treffende Formulierung „Ökonomie des Hasses“
gefunden. Wir schachern mit Ressourcen. Da können
sich offenbar manche ein räuberisches Verhalten
nicht verkneifen.
An einer Stelle ihres
Buches „Rechtes Denken“ der Hinweis, „dass
politische Prägung am Wickeltisch beginnt“. Ich
nehme an, wenigstens hundert Generationen eines
harten Lebens der Vorfahren haben vielen von uns
eine mentalitätsgeschichtliche Bürde aufgeladen, die
es uns erlaubt, innerhalb kürzester Zeit eine
erschreckende Brutalisierung großer
Gesellschaftsteile zu realisieren.
Das ist
aber keine Naturgewalt. Wir haben Kultur, um
dagegenzuhalten. Bei Hochegger und Wegenstein findet
sich dieser fundamentale Hinweis auf das Thema
„Emotionale Sicherheit“. Sie schreiben: „Emotionale
Sicherheit entsteht also im Kontext stabiler und
bedeutsamer Beziehungen.“
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[Ab
August 2020] --
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