4. September 2020
Mein Kontinent V
Ich hab nun in meiner Bibliothek
und in meinem Archiv gekramt. Anhand dessen sehe ich eine
Kontinuität der kritischen Diskurse und der Publikationen.
Wir konnten also wissen, was vorging. Ob wir es wissen
wollten, ist eine andere Frage.
...erschienen
1990
Martin Hochegger, Koautor des Buches
„Rechtes
Denken“ (Die Krise der Aufklärung),
schrieb zu meiner gestrigen Notiz: „Wir haben alle die
langfristig ausgelegte Strategie der neuen Rechten
unterschätzt... Vordenker der Neuen Rechten wie Alain de Benoit
haben sich unter anderem auch Anleihen bei Gramsci geholt... die
Hegemonie über das Vorpolitische... nachdem unsere Gesellschaft
seit den 90iger Jahren immer mehr nach rechts gerückt ist, fällt
so manches, was Rechtsextreme jetzt auch weichgespült in die
Debatte einbringen, auf fruchtbaren Boden...“
Unter
den Büchern, die ich eben aus dem Regal gezogen hab, ist etwa
die von Hans-Jürgen Schulz herausgegebene Anthologie mit dem
Titel „Sie sind wieder da!“ (Faschismus und Reaktion in
Europa), erschienen 1990.
1993 realisiert
Das Verhalten, Vorgehen
und die Propagandasprache von Jörg Haider füllte
Bücherschränke mit Literatur. Das Symposion
„Strategien gegen den Rechtsextremismus" vom
DÖW fand 1993 statt.
Ich hab hier im Bezirk Weiz ab
den späten 1980ern laufend Veranstaltungen zu den
damit verzahnten Themen gemacht und Beiträge
publiziert. Im Augenblick läßt sich sagen, daß diese
Bemühungen im geistigen Leben der Region keine
markanten Spuren hinterlassen haben; zumindest was
die öffentlichen Diskurse angeht.
In meiner
langjährigen Befassung mit dem Untergang
Jugoslawiens war mir eine Korruption des Denkens vor
allem durch ein 1995 in Deutsch erschienenes Buch
von Dubravka Ugresic anschaulich geworden.
1991: Die Zeit der Unschuld ist vorbei
Die Kroatin beschrieb, wie das so geht, wenn
Intellektuelle sich einem System andienen und sich
dabei verbiegen: „Die
Kultur der Lüge“. Slavenka Drakulic hatte
derartige Effekte auf anderen gesellschaftlichen
Feldern geschildert. Das waren vergleichsweise
taufrische Dokumente, wie da geschieht, was
geschieht.
Ich denke heute, vieles, was den
Untergang Jugoslawiens bewirkt hat, war in den
Verhaltensweisen von Menschen dem derart ähnlich,
was auch wir kannten, daß es uns gelegen kam, solche
Muster im Extrem bei unseren südslawischen Nachbarn
zu sehen, um uns selbst damit nicht identifizieren
zu müssen.
Aber was Ugresic
dargestellt hat, so auch Dzevad Karahasan, Nenad
Popovic, Muhidin Saric, um nur einige zu nennen,
denen ich persönlich begegnet bin, das betraf uns
eigentlich auch, bloß daß wir viel von der möglichen
Gewalttätigkeit noch an der Kette hatten.
Aus
heutiger Sicht möchte ich sagen: wir haben diese
Prozesse in Betulichkeit versenkt. Was ich die neue
Bourgeoisie nenne, ließ die konsequente Arbeit an
diesen Zusammenhängen in einer Simulation von
aufgeklärter Bürgerlichkeit versschwinden.
--
[Ab
August 2020] [Die
neue Bourgeoisie]--
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