1. September 2020
Mein Kontinent II
Ich sehe die Jahre 2010, 2015 und
2020 als Markierungen eines Feldes, auf dem ein Bündel von
Kräftespielen zur Wirkung kam, das zu einer großen
Herausforderung wurde, sobald wir uns nach Zusammenhalt
umsahen. (Es treiben eine Menge Fragmente herum.)
Als
einige der wirkmächtigsten Hintergrundbewegungen erachte ich
a) das Reüssieren der Neuen Rechten quer durch
Europa (Rechtsruck) b) mitten im Ankommen der Vierten
Industriellen Revolution im Zentrum der Gesellschaften
und c) in den Verschiebungen, welche Donald Trump
an der Rolle Amerikas in der Welt bewirkte, wobei
Europa eigentlich aufgehört hat, sicherheitspolitisch ein
Protektorat der USA zu sein.
All das ist
in die Unruhe und Differenzen rund um unsere Klimasituation
gehüllt. Da wir per Web (Neue Medien & Medienkonvergenz)
in einer weltumspannenden Info-Sphäre leben, erreichen uns
praktisch sämtliche beunruhigenden Themen aus allen Weltgegenden
über irgendwelche Kanäle. Sie werden teilweise noch von
Alarmisten wie Voyeuren überhöht, aufgebläht. Dieses Maß an
Komplexität und Rauschen kann einem den Verstand rauben.
In solchem Rauschen erblühte die Krise des steirischen
Kulturbetriebs. Ich würde heute sagen: das waren bald zu viele
offene Baustellen, um halbwegs souverän zu bleiben. Wer aber
nicht scheitern darf, nicht ratlos erscheinen darf, muß in die
Pose, in die Simulation gehen. Das beschädigt unsere Fundamente.
Vor allem: was immer anderen Leuten gelingt, festigt dem
Boden, auf dem ich gedeihe. Wenn andere untergehen, beschädigt
das immer auch meine Optionen. Genau das wurde im steirischen
Kulturbetrieb mehrheitlich eher nicht verstanden.
Dabei
bin ich – wie erwähnt – von meinem Kontinent gefallen, hab
Brüche und Anfeindungen erlebt, wo ich diese prächtige Erosion
erkunden wollte; auch um selbst weder emotional noch
wirtschaftlich unterzugehen. Das ist dennoch oder deshalb
geschehen.
Dazu kam noch eine
radikale Erfahrung speziell für meine Generation,
die 1950er- und 1960er-Jahrgänge. Eine Erfahrung,
die ich aus dem Übermaß an abgelagerten Tabus kaum
halbwegs frei und sichtbar kriege: das Altwerden.
Ich hab zu diesen Zusammenhängen weit mehr Türen
zugeschlagen bekommen und Schelte kassiert, als ich
entspannte Gespräche finden konnte.
Metaphorisch betrachtet möchte ich sagen: mein
vertrautes Terrain sehe ich gründlich verwüstet.
Aber womöglich ist das ebenso banal wie zwingend,
wenn wir in Umbrüche gegangen sin. Vielleicht meint
genau das: kein Stein blieb auf dem anderen.
Vielleicht geht das mit Krisis und Katharsis nur so
und nicht anders. (Ich kann darüber momentan keine
verläßlichen Aussagen machen.)
Also. Der
Raster. Die Felder zwischen den Schnittstellen. Das
lückenhafte Bild. Oft muß man ja von den Scherben
Abstand gewinnen, etwas zurücktreten, um das Bild
sehen und deuten zu können. Also: ab 2010 hatten
sich die Wirkungen im Kielwasser des Lehman Brothers
Crash herausgebildet und den verborgenen
Konkurrenzkampf befördert, welchen es in der
Kulturszene offiziell nie geben durfte.
Die
„freie“, wahlweise „autonome“ Initiativen-Szene war
ja unter anderem entstanden und angetreten, um
solchen Machenschaften entgegenzustehen. Ab 2015
wurden aber die Flurbereinigungen unübersehbar.
Außerdem hatten diverse City-, Tourismus- und
sonstige Managements begonnen, Kulturbudgets zu
kapern, um ihre eigene Finanzlage zu verbessern. Auf
Kosten meines Metiers.
-- [Kulturpolitik]
[Ab
August 2020] --
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