31. August 2020
Mein Kontinent I
In einem sehr ruhigen und in die
Tiefe gehenden Gespräch hatte ich vorige Woche erwähnt, die
Jahre zwischen 2015 und 2020 hätten sich angefühlt, als sei
ich von einem Kontinent heruntergefallen.
Da waren
inzwischen nun Tage und Stunden Zeit, darüber nachzudenken,
ob diese Metapher überzogen sei. Aber sie scheint mir nach
wie vor treffend. Es hat sich in diesen Jahren eine rasante
Erosion von Übereinkünften und Bündnissen ereignet.
Vielleicht
ist das einerseits der unausweichliche, aber anderseits auch
erhellende Ausdruck von Umbrüchen. Der Bruch von Versprechen,
Beziehungen, Kontinuitäten. Das scheint ja plausibel zu sein.
Ich habe dieses merkwürdige Muster schon mehrfach erwähnt:
2010, 2015, 2020. Der Rückblick macht den Raster deutlich
erkennbar. In den Feldern zwischen den Schnittpunkten des
Rasters ist der Raum für Bedeutungszuweisungen. Anders
ausgedrückt: wir zeichnen doch stets an einer Landkarte der
Bedeutungen.
Ich bin schon eine Weile beschäftigt, das
Bild zu einer Deutlichkeit zusammenzusetzen. Das bedarf eben
auch vieler Gespräche, um nicht bloß in den eigenen Ansichten zu
verbleiben.
Was den Raster angeht, die Kurzfassung: im
Jahr 2010 haben wir die Auswirkungen jener krisenhaften Schübe
erlebt, welche vom Crash der Lehman Brothers rund um die Welt
liefen und sich mit regionalen, mit hausgemachten Problemen
verzahnten.
Damals waren bei uns insgesamt noch genug
Ressourcen da, daß wir diesen Schlag wegstecken, stellenweise
sogar ignorieren konnten. Budgets und Rahmenbedingungen begannen
allerdings abzusacken. Das Land Steiermark reagierte mit einer
Strukturreform und mit den Doppelbudgets, die wir bis heute
haben.
Unsere Strukturen litten
im Kulturbereich erheblich, waren aber noch
tragfähig. Da setzte etwas ein, was es unter uns
Leuten der Initiativen-Szene per Definition nicht
gibt. Da wir nicht zur Kenntnis nehmen, was es aus
ideologischen Gründen nicht geben darf, haben wir
dabei unsere Fundamente ausgehöhlt.
Es kam
ein Wettrennen um Budgets in Gang, auch ein
Verdrängungswettbewerb unter Kulturschaffenden, in
dem sich schäbige Mittel als gerade recht erwiesen,
die per Selbstverständnis offiziell ausgeschlossen
waren. Dabei wurde auch offenkundig, daß zwar
dauernd Worte wie Solidarität und Vernetzung
rausgehauen werden, es läßt sich aber in der Praxis
nicht belegen, wo das größere Effekte erbracht
hätte.
Polemisch verkürzt: solche
Vernetzungen halten meist nur, solange wenigstens
ein Person durch hohen Arbeitseinsatz kompensiert,
was andere im Netzwerk an Leistungen schuldig
bleiben; und so lange ein Budget das ist, egal
woher. Entfällt nur eine dieser Ressourcen, kippt
das Ding.
So entwickelte sich mein Metier
zwischen 2010 und 2015. In den anschließenden Jahren
bekam derlei verleugnetes Rat Race eine neue
Facette, die ich überhaupt nicht kommen gesehen
hatte. In jenen fünf Jahren waren die Kommunen
ebenso unter Druck geraten, ganz markant im
Sozialbereich, weil zum Beispiel der Bund per Gesetz
Leistungen vorschrieb, für die er den Gemeinden
keine Budgets bereitstellte.
Damals kamen
allerhand Leute aus Politik und Verwaltung auf die
Idee, Kulturbudgets zu kapern und damit andere
Agenda abzuarbeiten. Wir hatten also plötzlich eine
höchst leistungsfähige Konkurrenz um bestehende
Gelder, die noch dazu eigentlich unsere
Kooperationspartner in vielen Ansätzen einer
Wissens- und Kulturarbeit waren oder wären.
Damit potenzierte sich die Doppelbödigkeit, die wir
Kulturleute zwischen 2010 und 2015 in unserem Metier
zugelassen hatten. Ab 2015 hatten so manche Kräfte
auch keine Scheu mehr, einzelne Leute existentiell
in den Graben zu fahren, um für ihre eigenen
Optionen Platz zu haben.
2010, 2015 und 2020:
ich kann gar nicht glauben, wie klar nun der
Rückblick zeigt, daß der Status quo mehr als
deutlich über den Horizont heraufkam. Ich werde in
weiteren Notizen zur Debatte stellen, daß diese
Entwicklung im Kulturbereich wie der Strang in einem
geflochtenen Zopf mit anderen Kräftespielen seine
Bedeutung und Wirkung hat, die nach meiner Ansicht
immer noch bemäntelt, weitgehend ignoriert wird.
-- [Kulturpolitik]
[Ab
August 2020] --
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