29. August 2020

Und Palästina?

Das habe ich in letzter Zeit wieder öfter via Social Media auftauchen gesehen: „Free Palestine!“ Was heißt dieses „Befreit Palästina“? Was meint das praktisch? Einen palästinensischen Staat, der okkupiert wurde und befreit werden müßte, hat es nie gegeben.

Ich weiß von einer Ethnie, einer Kultur und den Problemen, die unter dem Begriff „Nahostkonflikt“ zusammengefaßt werden. Ich weiß davon, daß viele Menschen von einer Zweistaatenlösung träumen, auf daß es ein Israel und ein Palästina geben möge.

Wie realistisch ist das? (Ich werde es wohl nicht mehr erleben.) Und die aktuelle Konfliktlage? Ich betrachte das einseitig, von Europa aus, meinem Europa mit seinen Erfahrungen aus dem 19. und 20. Jahrhundert.

Die palästinensischen Warlords sind militärisch geschlagen. Politische Formationen des palästinensischen Volkes stümpern so energisch, daß derzeit vermutlich niemand an eine politische Lösung glaubt.

„Befreit Palästina“ „Gerechtigkeit für Palästina". Ich möchte davon ausgehen, daß kein souveräner Staat der Welt es hinnehmen will und kann, daß Freischaren jenseits der Grenzen oder Terroristen innerhalb seiner Grenzen Waffen auf das Staatsgebiet und seine Bevölkerung abfeuern. Punkt!

Rebellen? Eine Befreiungsbewegung, die sich dem eigenen Volk verpflichtet hat? Wann haben wir sowas zuletzt gesehen? Im vorigen Jahrhundert. Über die Partisanen Jugoslawiens und Griechenlands müßten wir extra reden, wie auch über Frankreichs Resistance etc.

Später: die kosovarische UCK, halb Rebellenarmee, halb organisiertes Verbrechen, mußte zwar die Waffen niederlegen, konnte aber die Eigenstaatlichkeit des Kosovo erleben. Das war allerdings von Anfang an ein Failed State mit problematischer Verfassung und einer Menge Fremdbestimmung.

Die Ablösung Montenegros von Serbien ist mir bis heute ein Rätsel. Ob sich die Regierung des Zwergenstaates inzwischen vom organisierten Verbrechen losgelöst hat, weiß ich derzeit nicht. Die baskische ETA mußte ihre Waffen niederlegen, weil ihr eigenes Volk die Gewalttaten satt hatte. Eine Eigenstaatlichkeit der Basken ist nicht in Sicht.

Südtirol? Jahrzehnte keine Bomben mehr. Flamen und Wallonen sind sehr still geworden. Die IRA mußte ihre Waffen niederlegen, damit Nordirland befriedet werden konnte. Warten wir ab, was ein dereinst abgeschlossener Brexit an dieser Untergrundarmee bewirkt. Schottland? Abwarten!

Also: ich bedaure! Die Zeiten sind vorbei, da ein Ethnie sich eine eigene Staatsgründung erhoffen konnte. (Selbst Millionen Kurden haben das nicht vorangebracht.) Minoritäten werden sich ihr Wohlergehen eher verhandeln als erkämpfen müssen. Von albanischen Kosovaren und serbischen Nationalisten konnten wir in dem Zusammenhang nichts lernen.

Wer sehen will, welche Katastrophe ein Staat im Staat ist, sehe sich in Bosnien-Herzegowina um, wo sich seit dem Untergang Jugoslawiens wenigstens drei Formationen nicht einigen und wechselseitig beschädigen: Bosniaken, Kroaten und Serben.

So weit ich sehe, muß also nicht ein fiktives Palästina befreit werden, sondern eine palästinensische Ethnie braucht menschwürdige Lebensbedingungen und die Chance zu gedeihen.

Indem eine Mutter ihr Kleinkind als Schahid kostümiert? Indem weltweit Judenhaß aufgefrischt wird? Indem weiterhin Warlords die Gewalt am Blühen halten, weil sie davon profitieren? Indem palästinensische Politiker weiterhin herumstümpern?

Das wird vermutlich nicht klappen. Es mag schwer sein, sich zu beugen, aber ohne den Verzicht auf Waffengänge und ohne die Anerkennung des Staates Israel wird die palästinensische Ethnie mutmaßlich weiter im Elend bleiben, während sich bewaffnete Gewalttäter als ihre Befreiungsbewegung aufspielen, wo diese Partisanen doch bald hundert Jahre und über mehrere Generationen hinweg nichts Bemerkenswertes erreicht haben.

Und das gerne zitierte „Selbstbestimmungsrecht der Völker“? Tut mir leid, Leute, das ist mindestens eine antiquierte, vor allem aber trübe Kategorie, die sich einer dümmlichen Vorstellung verdankt, daß der Nationalstaat einer Ethnie gehören müßte, vice versa jeder Ethnie ein Nationalstaat. (Nicht sehr smart! Siehe Kosovo und Montenegro!)

Was heißt das nun? Ich nehme an: Ebenenwechsel. Strategiewechsel. Vielleicht sollte der Ruf „Free Palestine!“ heute so lauten: „Palestinians, get smart!“

[Eine Facebook-Notiz]

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