14. August 2020
Die flinke Kompott-SA
Wie kann jemand reagieren, wenn er sich von Anforderungen
des täglichen Lebens überfordert fühlt? Was bringt
Verschwörungs-Ministranten aller Lager und
Corona-Kollaborateure dazu, bei uns von Diktatur zu
sprechen? (Sie brüllen es.)
Weshalb greifen eben
diese Leute an, was traditionell ein gutes Mittel gegen
Diktaturen ist? Ich meine eine kritische Presse, die
Vierte Gewalt in einem Konzept der Gewaltenteilung. Nun
schreien die Köche eines merkwürdigen Meingunsgkompotts:
„Lügenpresse!“
Wie
begründen solche Leute oder belegen sie ihr Meinungs-Kompott?
Ich finde in diesen Lagern keine kritischen Diskurse, dank derer
sich abklären ließe, wie stichhaltig solche Ansichten sind. Die
diskutieren nicht, sondern tun einfach, hauen zu. Es boomt der
Primat der Tat. (Nebenbei bemerkt: ein Grundelement des
Faschismus.)
Im Web gibt es inzwischen reichlich
Video-Clips, die mir zeigen, wie angriffslustig und abwertend
diverse Kompott-Bürger vorgehen. Ich sehe, wie sie Leute aus
Politik und Medienwelt beschimpfen, bedrohen, auch körperlich
attackieren. Ein komplexes geistiges Leben ist ihnen offenbar
verhaßt.
Was sich also zeigt, ist eine Art neue SA. Eine
flinke Kompott-SA. Wofür dieses Kürzel historisch steht?
Sturmabteilung. Das war eine paramilitärische Schlägertruppe der
NSDAP, einerseits der Saalschutz für Parteikundgebungen,
andererseits eine mobile Faust der Nazi, um die eigenen Leute zu
terrorisieren.
Die faschistische Sturmabteilung erwies
sich als organisierte Konzentration von sich selbst
legitimierender Gewalttätigkeit. Was ich bisher von der neuen
Kompott-SA höre und lese, weist klar in diese Richtung.
Andersdenkende zu beleidigen, niederzubrüllen, körperlich
anzugreifen, das soll also überzeugender Ausdruck einer
zukunftsorientierten Position gegen eine Diktatur sein?
Vielleicht nach dem Motto „Lernen von Weißrussland“?
Wer jetzt mit dem Diktatur-Gebrüll auf den Lippen
herumrennt, ist womöglich voller ungelöster
Autoritätskonflikte und hat offenkundig weder von
Geschichte, noch von der gegenwärtigen Welt eine Ahnung.
Diktatur, das ist freilich etwas anderes, als die Situation,
mit der wir uns in Österreich herumschlagen müssen.
Wenn hier jemand unter mangelnder politischer Mitsprache
leidet oder das bestehende Regime für diktatorisch hält,
könnte es daran liegen, daß jemand zum Kompott-Bürger wurde,
indem er nicht von seinem Sofa hochkam, um an politischen
aktiv mitzuwirken. Nun aber rasch und laut und mit den
Fäusten…
Hatten Menschen je zuvor so viel Gelegenheit
zu a) Wissenserwerb, b) Kompetenzgewinn und folglich
c) Partizipation am politischen Leben? Wohl kaum!
Da sitzt sie nun, diese neue Bourgeoisie, fläzt sich auf
Polstern und an gut gedeckten Tischen, kriegt das Maul nicht
auf, außer um jemanden anzupöbeln. Oder schweigt zum Lauf
der Dinge und genießt, was noch zu erhaschen ist. Da draußen
ist viel Gebrüll und viel Schweigen, das sich erstaunlich
gut miteinander verträgt.
-- [Bourgeoisie]
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