10. August 2020
Wo befindet sich die Höhe
der Zeit?
Stadtentwicklung und Raumplanung. Seit geraumer Zeit ein
brisantes Thema. Der Prozeß, in dem Chuck LeMonds zu den
vier Angeklagten gehört, liefert uns einige Detailfragen
bezüglich der Praxis dieser Themenstellung. Ich halte das
für eines der wichtigsten Ergebnisse des gehabten
Wahlkampfes.
Im Süden von Gleisdorf baute Ingenos
die Agora. Im nordwestlichen Teil baute die Familie
Gasser das GEZ West. Beide Anlagen wurden inzwischen
ausgebaut, nennenswert vergrößert. Unter der Agora entstand
ferner Wurms Drive in-Lokal und das Diesel-Kino
mit seiner Peripherie. Hinzu kommt die Nähe zu Graz mit der
Autobahnanbindung. (Nicht nur der Murpark schafft
Werbematerial in unsere Postkästen.)
Gleisdorf
ist also in den letzten 20 Jahren polyzentrisch geworden. Das
alte Stadtzentrum mußte viele Funktionen abgeben. Ähnliches
geschieht in ganz Europa. Dazu kommt der starke Trend zur
Urbanisierung. Wir haben weltweit schon lange eine neue
Landflucht. Menschen ziehen in die Städte.
Zu diesem
Prozeß gehörte bei uns jüngst eine Serie von
Gemeindezusammenlegungen. Was wird also aus dem öffentlichen
Raum in solchen Verläufen? Wovon handelt er in einer Zeit, da
Telekommunikation und Telepräsenz unser soziales Leben schon
verändert haben?
Das hat auch seine gewichtigen
Entsprechungen in politischen Fragen. Politik ist seit der
Antike nicht bloß das, was die Funktionstragenden tun. Politik
entsteht aus der Wechselwirkung zwischen Funktionärswelt
(Staatskunst) und Gemeinwesen (Zivilgesellschaft). Das gehört zu
den kulturellen Wurzeln Europas, von denen man zum Beispiel
FPÖ-Leute oft reden hört.
LeMonds soll laut Verfassungsschutz eine Gleisdorfer
Wahlveranstaltung der FPÖ „erheblich“ gestört haben. Nicht
mit dem Poster, das er bei sich trug. Dieses Blatt mit der
Botschaft „Ich liebe meine jüdische Tochter“ werfe kein
Problem auf, sagte der Richter bei einer Gerichtsverhandlung
in Weiz.
Aber seine Pfiffe. Darauf bezog sich auch
der Staatsanwalt. Die Pfiffe hätten Menschen daran
gehindert, sich bei dieser Veranstaltung über das
Themenangebot der FPÖ zu informieren. Damit habe LeMonds
deren Rechte verletzt.
Hat er das? Ist das
physikalisch möglich? Und über welche Inhalte der FPÖ hätte
man sich informieren können? Wäre es im öffentlichen Raum –
anders als in privaten Räumen – nicht ohnehin obligat und
unvermeidlich, daß man im Publikum manche Ablenkung
überstehen muß, um das Informationsangebot zu rezipieren?
Ist es nicht ohnehin zwingend, daß Informationsangebote
bei einer politischen Kundgebung so gestaltet und
vorgetragen werden, daß sie zu einer kurzen
Aufmerksamkeitsspanne der Menschen durchdringen können? Ich
denke, das müssen wir nicht debattieren, davon dürfen wir
ausgehen..
Ich darf muß erinnern, daß
Stadtentwicklung und Lebensraum im Wahlkampf bei einigen
Parteien Thema waren, bei der FPÖ nicht. Es geht um unser
Leben im öffentlichen Raum anno 2020, um die Anpassung des
Gemeinwesens an polyzentrische Orte. Und zwar mitten in der
Vierten Industriellen Revolution, von der viele bis heute
nichts zu sagen wissen.
Selbstlernende
Maschinensysteme konkurrieren den Menschen. Wir sind durch
die neuen Medien von einer weltweiten Info-Sphäre umgeben.
Wir haben es – nebenbei bemerkt - im Kern mit zwei alten
Kategorien zu tun, die nicht miteinander verwechselt werden
sollten: 1) das Informationsangebot und 2) der
Wissenserwerb.
-- [Pfeifer im
Sturm]
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