6. August 2020

Pfiffe in der Nacht II

Österreichs Gerichtsbarkeit hat einige sehr vorteilhafte Regeln. Als wir im Foyer des Bezirksgerichtes Weiz warteten, erläuterte jemand mit Sachkenntnis, daß selbst bei Ausschluß der Öffentlichkeit pro angeklagter Person drei Zuhörende erlaubt seien.

Das heißt, für eine Verhandlung hinter verschlossenen Türen ist ein Mindestmaß an Öffentlichkeit gesichert. So verschlossen war der Saal diesmal nicht. Es ging es um: a) Pfiffe, b) Stinkefinger, c) Poster mit positiven Botschaften, d) Kuhglocken, eventuell Perchtenglocken, e) ironisierte Parolen.

Der Staatsanwalt machte überdies in mehrerer Schleifen der Ermahnung klar, daß eine zugelassene politische Partei bei einer zugelassenen politischen Veranstaltung ihre Inhalte ungestört darbieten dürfe, egal, ob das „der größte Blödsinn“ oder eine kluge Botschaft sei.

Mehr noch, und das sei Menschenrecht, wer so eine Veranstaltung besuche, dürfe nicht daran gehindert werden, sich über das Angebotene ungestört zu informieren. (Fußnötchen: Das wird Ihnen nicht einmal in einer Klosterschule garantiert!)

Die Angeklagten betonten, daß sie niemanden daran hindern wollten, jenen Rezeptionsakt zu vollziehen. Sie mochten bloß die eigene Betroffenheit ob der dargebotenen Inhalte ausdrücken. Genau da tat sich der Streitpunkt auf.

Der Staatsanwalt, ein stattlicher Mann meiner Generation, der sicher bald in wohlverdienter Pension sein wird, denn ich bin nicht mehr gar so jung, zog die schon erwähnten Schleifen der Ermahnungen, zuzüglich einiger Belehrungen, um geltend zu machen, daß eben dieses Recht verletzt worden sei. Er verwies dabei auf eine bedeutende Charta.

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte besagt im Artikel 19 (Meinungs- und Informationsfreiheit: „Jeder hat das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit ein, Meinungen ungehindert anzuhängen sowie über Medien jeder Art und ohne Rücksicht auf Grenzen Informationen und Gedankengut zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten.“ (Darauf werde ich später noch eingehen.)

Der Staatsanwalt wirkte in dieser Verhandlung vor allem als ein Streiter für das Recht, „Informationen und Gedankengut zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten.“ Ein äußerst wertvolles Gut, das man mir bei meiner Profession nicht erst schmackhaft machen müßte.

Das liegt in unserer Geistesgeschichte begründet und hat ein klares Ziel: Erkenntnis. Unsere Kultur empfiehlt, Erkenntnis solle sich nicht bezahlt machen, sondern erweisen. Das meint, Erkenntnis möge über praktischen Nutzen hinausreichen und den Menschen eine grundsätzlich bessere Sicht auf die Welt, ein tieferes Verständnis ermöglichen.

Vergleichen Sie diesen Aspekt mit dem § 1 (Ziele und Aufgaben der Kultur- und Kunstförderung) unseres Steiermärkischen Kultur- und Kunstförderungsgesetzes, wo es in Absatz 2 heißt, „die schöpferische Selbstentfaltung jedes Menschen durch aktive kulturelle Kreativität und die Teilhabe jedes Menschen am kulturellen und künstlerischen Prozess in jeder Region des Landes“.

Nun wurde der Pfeifer im Sturm, Charles Quintin LeMonds, dafür angeklagt, durch seine einsamen Pfiffe diese kulturellen Zusammenhänge belastet bis beschädigt zu haben. Als ich darüber nachgedacht habe, kam ich zu einem Schluß, der mich selbst überrascht hat.

Ich sollte den Hauptredner, Herbert Kickl, in eben diesem Sinn bei der Behörde anzeigen. Er hat mich durch den Inhalt seines Vortrags, in genau diesen Möglichkeiten massiv eingeschränkt.

Er gönnte sich ein Ausmaß an Polemik, das selbst einen geübten Denker wie mich von Wissensgewinn und Erkenntnismöglichkeit abschnitt. Ich konnte durch seiner Rede eigentlich nichts über das Programm und die konkrete Zukunftsfähigkeit der FPÖ erfahren, er verhinderte eine substantielle Darstellung dieser wesentlichen politischen Stoffe.

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Pfeifer im Sturm (Übersicht)

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