29. Juli 2020
Orientierungsfragen
Gestern ein nächster heißester Tag dieses
Sommers, dann dieses kurze Gewitter, einigermaßen geeignet, um die
Gemüter abzukühlen. Die amüsanteste Situation hatte ich auf meinem
Rundgang, als an einer Ampel eine Reihe von Wagen bei Rot links
abfuhr, nachdem die Leute den Querverkehr abgewartet hatten.
Diese
auffallende Fehlschaltung der Fahrer bewog einen Wartenden, das
Seitenfenster runterzulassen und mir zuzurufen: „Heut muß ma
aufpassen!“ Hab ich gemacht. (Ich bin ja meist nur für mich selbst
eine Gefahr.)
Beute an der
Ampel: Ford Cortina
Zurück zu Aristoteles, denn ich mag so sehr, zu erkunden,
worin wir Menschen über lange Zeiträume Beständigkeit zeigen. Er meinte
in seiner „Metaphysik“, der Beginn aller Wissenschaften sei ein
Erstaunen, daß die Dinge so sind, wie sie sind.
Wir müssen eben
keine ewigen Checker und Macher sein, die alles schon im Griff haben,
weil sie alles schon kapiert haben. Dieser dumme Mythos, indem sich
rasante Selbstoptimierer einrichten, ist so förderlich wie ein
Molotow-Cocktail mit brennendem Fetzen.
All die Erhabenen,
Herablassenden, dann diese Sommerhitze, und natürlich bin ich immer noch
streitbar, wenn auch einigermaßen zivilisiert. Ich bin kein
friedfertiges Wesen. Kürzlich also dieser launige Lehrer, der mir ohne
guten Grund auf Facebook dargelegt hat, daß ich als Autor bedeutungslos
sei. Nun der Kulturmensch, der sich einreiht, um mir Inferiorität zu
attestieren.
In diesem zunehmend verschnöselten Kulturgeschehen
hagelt es naturgemäß Argumente zur Person, während Argumente zur Sache
entfallen. Kurz gesagt: Diffamierung geht vor kritischen Diskurs. Man
greift eine Person an, wo man ihre Inhalte angreifen möchte.
Was
wäre ein Ausgangspunkt, an dem man sich wieder orientieren könnte? Wir
ziehen offenbar seit über zweitausend Jahren Schleifen. Wo man sich
verlaufen hat, muß eben etwas von vorne beginnen.
Aristoteles
zitiert in „Nikomachische Ethik“ den Dichter Hesiod. Von dem
heißt es, er habe als Bauer gelebt, den Acker bestellt und Vieh
gezüchtet. Ich erwähne das, weil es betont, daß er Handarbeit und
Kopfarbeit eng beisammen gehalten hat. Das Zitat lautet:
Der
ist der allerbeste, der selber alles durchdenket; Doch ist wacher
auch der, der richtigem Rate sich anschließt. Aber wer selbst
nicht bedenkt und was er von andern vernommen Auch nicht zu Herzen
sich nimmt, ist ein ganz unnützer Geselle.
Das heißt, wir
sind schon sehr lange damit vertraut, daß wir einerseits selbst denken
sollen, so wie schließlich Immanuel Kant empfahl, uns unseres Verstandes
ohne Anleitung durch andere zu bedienen. Aber Hesiod empfiehlt auch, uns
mit anderen darüber auseinanderzusetzen, uns zu beraten.
Die
Debatte, das Erörtern von Problemen und Lösungen, ist etwas, wofür uns
menschliche Gemeinschaft enorm nützt. Oder wie ich gerne raushau:
Niemand ist alleine schlau! Das ist wohl in dem angelegt, was
Aristoteles Zoon politikon nannte, wenn er über die Eigenart der
Menschen sprach. Wir sind gesellige Tierchen; oder etwas genauer
ausgedrückt: Wesen, die zum Leben in Gemeinschaft neigen.
-- [Bourgeoisie]
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