21. Juli 2020
Gestern gab es einen Tagesabschnitt, da lag ich auf dem Rücken, die
Augen geschlossen, hab dem Regen gelauscht. Regen. Regen. Regen. Es
braucht immer eine Weile, bis ich die Nuancen hören kann, ein Muster
ohne Melodie. Was ich daran so sehr mag: es ist, als würde mir die Welt
etwas zuflüstern, das ohne Botschaft ist, was nur gehört, nicht
entschlüsselt werden will.
Das mag manchen Menschen müßig bis
dumm vorkommen. Würden Sie gelegentlich in meinem Kopf stecken, sie
verstünden das große Vergnügen an so einer sinnlichen Mitteilung ohne
Botschaft.
King
Lear
Wenn ich mich auf diese Art zurücklehne, dann
liege ich parallel zur Längsachse des Hauses. Es gibt ein Fenster zu
meiner Linken (nach Norden) und eines zu meiner Rechten (folglich nach
Süden). Beide halte ich bei solchem Wetter so gut es geht offen, damit
die Regenluft über mich zieht.
Das bringt amüsant Momente. Wenn
etwa ein Donnergrollen über das Haus hinweggeht, welches bei mir nun wie
ein Stereo-Test ankommt, zuerst beim linken Fenster herein, dann zum
rechten erneut. Geht das Gewitter zum Sturm hoch, muß ich die Fenster
auf der linken Seite alle schließen, weil mir sonst ein Teil meiner
Bestände absauft.
Meine tiefen Fensterbretter sind alle mit
Dingen belegt, hauptsächlich mit Büchern. Ich wohne in einem vormaligen
Wirtschaftstrakt mit dicken Mauern. Vor hundert Jahren wurde in diesen
Räumen Sodawasser abgefüllt.
Coriolanus
Nach etlichen Jahren einer hartnäckigen Unruhe, die sich in den letzten
Monaten stellenweise fatal verdichtet hat, finde ich nun wieder ruhigere
Momente. So auch mein Schweigen, um dem Regen zu lauschen. Lesen.
Freilich beginnt jeder Tag mit dem Schreiben.
Das ist meine
Profession und das macht mir nach Jahrzehnten immer noch Vergnügen. Wie
sehr sich mein Blick verändert und mein Denken verschärft hat. Ich kenne
keine Alltagssituation, in der jemand darauf aus wäre, mich in dieser
Disposition zu ertragen.
Ich hab die Angriffslust lange nicht
verstanden, mit der manche Menschen darauf reagieren. Es ist seltsam.
Wie leicht hätte jemand sagen können: „Geh weg! Ich möchte mich mit
dir nicht befassen, wenn du so bist.“
The Crown
Aber angreifen? Und das abwerten, woran man sich stößt? Eine skurrile
menschliche Ambition. Gut, ich muß das weder verstehen, noch bearbeiten.
Die Welt ist groß genug, daß man jede nötige Distanz zueinander finden
kann, wo man sich unerträglich findet. Die letzten Jahre nun viel von
der Stille, die ich so mag, genug Distanz. Darin eine endlose Kette von
Büchern und Filmen.
Ich unterhalte mich übrigens dieser Tage
gerade sehr gut mit „The
Crown“. Das ist eine vorzüglich gemachte TV-Serie über
das Leben der Windsors rund um den englischen Thron, plus etliche
exponierte Persönlichkeiten jener Zeit, in der ich ein Kind war.
Ich bin beeindruckt von Drehbuch, Dialogen, Regie und Ausstattung. Über
die drei Staffeln hinweg finden sich einige ganz bemerkenswerte
Sequenzen, darunter jene, in der Prinzessin Margret einen etwas
erbärmlichen Kerl abserviert. (Wunderbarer Theater-Tonfall!)
Wenn
du als Mann so eine Abfuhr kassierst, kannst in die Wüste gehen oder von
einer Brücke hüpfen. Hier eine Sounddatei mit der Passage: [link]
(mp3, 330 kb)
Bei der Gelegenheit (und zu den Stichworten
Großbritannien plus Theater) folgende Empfehlungen: +) „Coriolanus“
(2011, in der Regie von Ralph Fiennes) +) „King
Lear“ (2018, in der Regie von Richard Eyre) +) „The
Favourite“ (2018, in der Regie von Yorgos Lanthimos)
(In
„The Favourite“ übrigens die sehenswerte Olivia Colman als
Königin Anne. Sie spielt in der letzten Staffel von „The Crown“
Königin Elisabeht.) |