13. Juli 2020

Ömpörung

Das ist eine Erregung aus gefühlten Gründen, die laut sein möchte und muß, die nichts zu wissen braucht, weil sie ist. „Ohne Kunst wird’s still!“ ist so ein Beispiel. Aber heute, bevor dieser Tag endet, habe ich noch ein anderes Thema.

Ich denke nicht bloß an Srebrenica, sondern auch an Omarska. Oder Trnopolje. Oder Prijedor. Auch an Vukovar. Das sind einige Ort, an denen Europa ratlos blieb. Ich finde es nun angenehm, daß solche Zusammenhänge kein Anlaß für Ömpörung sind.


Diese Variante des Wortes habe ich mir angeeignet, weil ich manchmal Textstellen in meinen Notizen markieren muß, wenn sie davon handeln, daß mir Mitmenschen auf merkwürdige Art ihr Herz ausschütten. Gelegentlich. Anlaßbezogen. Und dann ist doch – wie sich zeigt - nichts dahinter. Außer daß man… seine Ömpörung zum Ausdruck gebracht hat.

Der Spießer muß nichts wissen, es genügt zu fühlen. Dieses Fühlen will demonstriert werden. So sollte Zuwendung zu erlangen sein. Ömpörung in Linie. Das kann man auch thematisch anordnen. Zum Beispiel: Peter Handkes Literaturnobelpreis, das Erwürgen von George Floyd, nun aber… Was nun? Genau! Da war doch…


Am 12. und 13. Juli 1995 waren die bosniakischen Leute aus der Gegend von Srebrenica verschleppt, entfernt worden. Rund achttausend davon wurden ermordet. Es war eine ethnische Säuberung durch serbische Kräfte. Ein rassistisch begründetes Massaker. Ein Kriegsverbrechen.

Das braucht heute keine großen Töne, keine ausladenden Gesten. Ich bevorzuge etwas Stilleres: Kenntnis. Kenntnis, die sich mit Anteilnahme verbindet. Das ist nichts Lautes. Diese Position verlangt nicht nach Ömpörung, sondern nach Wissenserwerb.

Folgerichtig war nun das Erinnern an den 12. und 13. Juli 1995 bei uns sehr still; so viel stiller als etwa die Aufregung zum Thema „Black Lives Matter“. Das ist mir recht, denn mit einem flatterhaften Ausstreuen von Memes via Social Media hat sich nichts getan und nichts erledigt.


Was ist zu tun? Ich hab es erwähnt: Kenntnis. Die will erworben werden. Und Anteilnahme. Die kommt auch ohne große Geste bei den bosnischen Leuten an. Das muß nicht laut werden. Das sollte tief werden. Meine Erfahrung besagt: sie hören das. Vor allem aber sollte es Konsequenzen haben.

Wenn es um Rassismus geht, bleibt uns noch viel an Aufgaben, um Klarheit zu finden, wie sich solches Denken in uns eingenistet hat, in uns allen, und was sich davon immer noch zu institutionalisieren vermag.

Ich brauche bloß vor die Haustür zu gehen und finde rasch, wie sich Menschen in Hierarchien einordnen. Ensembles, die dem Prinzip „Protektion geht vor Kompetenz“ gewidmet sind. Unterwerfungsgesten. Höfliches Schweigen, wo jemand den Mund aufmachen sollte.


Das sind übliche Rahmenbedingungen, in denen dann auch der Rassismus gedeiht. Rassismus ist nicht bloß ein Denkschema, sondern ist eine Strategie, um sich auf Kosten anderer Menschen Vorteile zu holen.

Ohne diese Benutzung anderer Menschen wäre Rassismus entsprechend nutzlos. Und Srebrenica? Ich hab mir das angesehen. Es konnte weder strategisch noch taktisch ein Problem sein, die Soldateska von Ratko Mladic auf ihrer Mission zu blockieren. Srebrenica liegt auf keinem weiten Feld. Dort herrscht räumliche Enge. Es ist überschaubar, also kontrollierbar.

Dutchbat-Kommandeur Thom Karremans rauchte und trank vor Kameras mit Warlord Mladic, ließ sich von ihm einschüchtern, statt neben seinem Bataillon auch die Nato hinter ich zu haben, diese Soldateska zu vertreiben, die Ermordung von achttausend Menschen zu unterbinden..

Bevor es der Waffen bedarf, um rassistische Vorhaben abzustellen, braucht es soziale und kulturelle Prozesse, die solches Denken abstellen. Diese Arbeit ist in unserem Alltag zu tun. Jetzt. Jederzeit. Ohne große Gesten.

(Die Fotos stammen vom Weg nach Srebrenica, das zweite entstand auf der großen Gedenkstätte in Potocari.)

-- [Bourgeoisie] --

[kalender] [reset]