10. Juli 2020
Dresscodes
Geschmack und Selbstinszenierung. Wie sind alle im Spiel. Ich bin an
einem proletarischen Konzept hängengeblieben. Da wird mit den Jahren
durchaus klar, wovon einen das ausschließt. Mit der Bekleidung kann es
wie mit dem Kochen sein. Ein Feld, auf dem sich vorzüglicher Geschmack
zeigen läßt; falls man einen hat. Stil? Das Wort habe ich lange nicht
mehr gehört.
Crash-Rennen: Overall
Bei Kulturveranstaltungen sehe ich
gelegentlich Menschen mit komischen Hütchen, mit Kappen und mit
auffälligen Brillenfassungen. Manchmal weist mich das auf eine
interessante Person hin. Weit öfter markiert es einen Menschen, der die
Pose nach vorne stellt und dahinter zu keinem bewegenden Gespräch in der
Lage ist.
Vielleicht macht das den Unterschied zwischen Stil und
Verkleidung. Ich bin gelegentlich Menschen begegnet, deren ästhetische
Erfahrungen und deren Selbstverständnis haben dazu geführt, daß sie
raffinierte Dresscodes pflegen. Das heißt, sie kommunizieren mit sich
selbst und mit anderen über außergewöhnliche Kleidungsstücke.
Hamburger
Nächte: Latzhose aus dem Baumarkt
Da ereignen sich manchmal überaus spannende Momente. Es gibt ganz
unterschiedliche Konzepte, was unter „gutem Geschmack“ verstanden wird.
Ist man selbst sachkundig? Folgt man Empfehlungen? Konventionen? Geht
man „mit der Mode“?
Wer im Hochsommer Sakko und Krawatte anlegt,
wird dafür gute Gründe haben. In der Feudalzeit kannten die Menschen
Standestrachten, die ihren sozialen Rang ausdrückten. Uniformen geben
uns Auskunft, wo jemand innerhalb einer bestimmten
Institutionshierarchie steht.
Auch historische Formen der
Arbeitskleidung teilen eventuell mit, was jemandes Stand ist. Blicke ich
meinen Sohn an, der in einer Fabrik arbeitet, wird deutlich: das
„Blauzeug“ ist eine antiquierte Kategorie. Was der und seine Kollegen
heute im Job tragen, würde ich zum Ausgehen anziehen.
Literaturnacht: Overall
Das mag verdeutlichen: ich lege keinen Wert auf raffinierte Garderobe.
Ich wüßte nicht einmal, wo man raffiniertes Zeug bekommt. Als jungen
Künstler hat man mich oft in alten Overalls der Panzertruppe gesehen,
ausgemustertes Militär-Sachen. Und natürlich abriebfeste Bekleidung. Zum
Beispiel dicke Lederjacken und schwere Stiefel, weil ich Jahrzehnte lang
leidenschaftlich Motorrad gefahren bin.
Ich trage Kleidungsstücke
vorzugsweise bis sie sich auflösen, behalte sie, solange sie sich zur
Bekleidung eignen. (Verfügbares Geld gebe ich lieber für andere Dinge
aus.) Ich habe mir freilich von einer Fachfrau sagen lassen, auch das
sei Code und Mitteilung. Daher mit aller nötigen Betonung: wir
kommunizieren mit Bekleidung.
Ich hatte während der letzten 30
Jahre im Kulturbetrieb Begegnungen mit höchst unterschiedlichen
Menschen, die in der Kunst leben oder sich nach diesem Zusammenhang
verzehren. In der Musikbranche leisten sich manche eine spezielle
Bühnengarderobe, die schillernder sein kann als ihr Alltagsgewand.
Arbeitskleidung!
On the Road: Regen-Kombi über der Standard-Kluft
Ab und zu war jemand von Relevanz dabei, an dem oder der man auch im
Alltag ungewöhnliche Stücke sehen kann. Den meisten Leuten, die zu
hochkarätiger künstlerischer Arbeit fähig sind, sieht man das aber nicht
an. Sie haben keine spezielle Kleidung, um ihren Beruf und Status
darzustellen.
Im Kontrast dazu rennen mir manchmal banale Wesen
über den Weg, die komische Hütchen aufsetzen, auch andere schrille
Accessoires einsetzen, um sich selbst Besonderheit zu bescheinigen. Das
wird eventuell mit auffälligem Verhalten garniert. Mummenschanz, um sich
herauszustreichen. Dazu diese neue Bourgeoisie…
-- [Bourgeoisie]
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