7. Juli 2020

Festival der markigen Sätze

Wäre unser aller Leben erfolgreich durchökonomisiert, hätte alles, was uns bewegt, Warencharakter. Dann würde es völlig genügen, unsere Angelegenheiten in einer Sprache der Werbebranche zu erörtern und zu beschreiben. (Folglich wäre der Superismus Ausdruck von Qualitäten: „Best Dinges ever für alle!“)


Ich hab gestern von den Youngsters erzählt, die Momente des Überraschtseins gerne mit dem Ausruf „Alter Schwede!“ quittieren. Eigentlich bin ich aus Neugier zu Fragen nach der Arena, nach den Großen Spielen (Circus Maximus), auf eine Wanderschaft durch aktuelle Formate gegangen. Zum Dschungelcamp und zu „BigBrother“ dann auch „Adam sucht Eva“, „Are you the one“, „Bachelorette“, „Temptation Island“ etc.

Es war sogar unterhaltsam. Und erstaunlich. Wenn Youngsters in diesen Formaten über ihre Gefühle sprechen, kommen sie mit ganz wenigen Begriffe aus, die endlos wiederholt und teils ständig ausgerufen werden: geil, kraß und mega, manchmal auch kombiniert: mega kraß oder mega mega kraß.

Außerdem kann ich mich nicht erinnern, je zuvor so oft ein inbrünstiges „Oh mein Gott!“ gehört zu haben. Das findet sich auch via Social Media, vorzugsweise abgekürzt: „OMG!“ Milieus haben Jargons. Das hilft bei der Klärung, wer drinnen und wer draußen ist.

Jargon. Der Kunstbetrieb hat seine widersprüchlichen Positionen. Das Kulturvölkchen gönnt sich verschiedene Lager im Kontrast zueinander. Kein Einwand! Wer Gefolgschaft und Publikum sucht, wird populistische Strategien brauchen. Sonst klappt das nicht. Meine kleine Geschichte der Vernetzungsbemühungen ist darin ganz unmißverständlich was den Verzicht auf solche PR-trächtigen Strategien angeht.

-- [1985 bis 2015: Das Protokoll] --

Inklusion via Jargon? Klar! Werbesprache, um verstanden zu werden? So schaut’s aus! Da kam nun in der FB-Gruppe „Schweigemarsch der Künstlerinnen 2020“ die irritierende Empfehlung: „wir brauchen einen klimagerechten Kunst- und Kultur-Diskurs“. Wie bitte?



Quelle: Facebook, 5.7.2020

Wir brauchen eigentlich immer nur einen Diskurs, der seinem Thema gerecht wird. Wir brauchen kein Kapern von anderen Themenfeldern per Verzerrung der Frage- und Themenstellungen. Ein Kunst- und Kultur-Diskurs kann gar nicht klimagerecht sein, weil das Nonsens wäre. (Klima ist keine Kategorie der Kunst etc.)

Nun fragte Loretta W. treffend: „Dann ordnet sich die Kunst zunächst den Kriterien der Klimabewegung unter und als nächstes? Oder wie ist das zu verstehen?“ Die Administratorin erwiderte: „wir werden nicht drumrumkommen.“ Werch ein Illtum!

Wir werden auf so einem Weg gar nicht, also nirgends hinkommen. Was sollte auf die Art erreichbar sein? Aktuelle Klimaprobleme können zwar mit Mitteln der Kunst angegangen werden, können Gegenstand künstlerischer und soziokultureller Vorhaben sein, aber „klimagerechter Kunst- und Kultur-Diskurs“ ist Werbesprache. Gedünkel und Gedöns. Solch Sprücheklopferei ignoriert völlig, was Diskurse sind und sein können, kapert Begriffe, um ein anderes Thema zu promoten.

In einem durchökonomisierten Leben ist das vielleicht plausibel. Aber es entspricht etwa der Verkürzung einer Sprache über Emotionen auf die wenigen Worte „geil, kraß, mega, oh mein Gott!“ Wie kommt das? Ich weiß nicht recht, ob es eher einen Mangel an Sachkenntnis oder an intellektueller Selbstachtung ausdrückt.

Eva Math, die Schlüsselfigur dieser Facebook-Gruppe, ist Marketingfachfrau und Coach (mit Schauspielstudium). Das hat sie mit Danny Wohlrab gemeinsam, von dem offenbar der Slogan „Ohne Kunst wird’s still!“ stammt. Auch er ein Coach (mit Gesangsstudium).

Wohlrab bewährt sich mittlerweile im Merchandising: „Ohne Kunst wird‘s still! - gibts jetzt auch als ‚Community-Maske‘. Setz ein Zeichen und hol dir eine!“ (12 € / Stck. zzgl. Versand) Dazu passende T-Shirts. Ich wünsch solchen Leuten neidlos gute Geschäfte. Aber als Sprachrohr meines Metiers möchte ich sie lieber nicht haben.

-- [Kulturpolitik] --

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