6. Juli 2020

Mummenschanz und Abgesang

Erst einmal Krone der Schöpfung, dann Cogito ergo sum, zusammengefaßt: ein Homo faber, der sich für den Primat der Tat geschneuzt und gekampelt hat. Weniger denken, mehr tun: eines der Grundprinzipien des Faschismus. Oder doch nicht gar so sehr? Und eh alles anders?

Ich gehöre seit 1977 mit meinem ganzen Lebenskonzept dem Kulturvölkchen an. Da haben die Macherinnen und Macher immer wieder Boden gewonnen, indem sie andere überrannten. Aber das durfte nie so genannt werden. Wie geht nun Veränderung? Da ist mir eine bewährte Metapher recht:
- Wird mich die Lawine wegreißen und verschlingen oder
- werde ich sie reiten können?


Ich sag’s gleich: damit geht sich keine Heldenpose aus. Einmal Lawine reiten, das macht Jahre der Unruhe, macht Schäden an Herz und Leib. (Wer verschlungen wurde, ist sowieso erledigt.) Also geht es hier um keine Kerl-Nummer, sondern bloß um Fragen wie diese:
- Wodurch entsteht Zukunftsfähigkeit?
- Wie wende ich mich dem zu, was noch nicht gedacht werden kann?


Der Homo faber ist kein guter Prognostiker. Vielleicht sind die Esoteriker härter drauf? Also:
- Progress by Design?
- Progress by Desaster?



Wissenschafter Hermann Maurer: "Wir haben zu wenig Phantasie."

Und so ganz nebenbei: keine Ära, keine Epoche wurde mit ihren Eigenheiten je vorhergesehen. Oder um es mir Wissenschafter Hermann Maurer aus Stationen unserer Projekte zu sagen: „Vieles, was vorhergesagt wurde, ist nicht gekommen. Vieles, was gekommen ist, wurde nicht vorhergesagt.“ (Zitat aus: Wir haben zu wenig Phantasie)

Aus Debatten mit Philosophin Lisbeth List habe behalten: kommen Gesellschaften unter Druck, rücken sie nach rechts. Das ist immer auch eine Zeit für Mummenschanz. Verkleidung. Ich muß noch ein wenig an den Figuren arbeiten, am Rollenrepertoire der neuen Bourgeoisie: Amtsverweigerer, Chamäleon, Hütchenträger, Simulant, Spießer, Trittbrettfahrer, Vaterländischer, Verschwörungs-Ministrant etc.

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2008: Next Code: Divan

Die großen Narrative und ihre Ensembles auf unseren Bühnen. Kurios: vor fast genau einem Jahr, am 23. Juni 2029, hat mich das ebenso beschäftigt: „Da bin ich bei den Narrativen, nach denen ich mich eben umsehe, nein, nach deren Status ich mich umsehe; eingedenk der Überlegungen von Historiker Harari, der dieses Narrativ, in dem ich mich zuhause fühle, für abgeschlossen, für erledigt hält. (Nach dem faschistischen und dem kommunistischen Narrativ habe sich nun auch das liberale erschöpft.)“ [Quelle]

-- [1985 bis 2015: Das Protokoll] --

Ist das einer der Gründe, warum ich auf dreißig Jahre kultureller Vernetzungsbestrebungen zurückblicke, von denen keine über eine erste Projektphase hinauskam? Die Retrospektive macht deutlich: wir sind stets wieder bei den vorgerigen Verhältnissen angekommen. Szenen eines Abgesangs?

Plötzlich ergibt es für mich Sinn, unterstreicht, warum es einer nächsten Kulturpolitik bedarf. Da hat sich etwas erledigt, wurde zu seiner eigenen Begräbnisfeier. Für diese Feierlichkeit ist die neue Bourgeoisie mit ihren Posierern und all dem Mummenschanz plausible Besetzung auf dem Theaterzettel.

Nein, ich bin nicht pessimistisch gesinnt. Ich will damit bloß illustroeren, daß meine Generation womöglich zu einem grundlegenden Veränderungsschub und zu einem neuen Narrativ nichts Essenzielles beizutragen hat...

-- [Kulturpolitik] --

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