4. Juli 2020
Vernetzung und Legendenbildung
Wenn ich über Kulturpolitik nachdenke, verblüfft mich wiederholt, was
sich das Kulturvölkchen an Diskrepanzen zwischen erklärtem
Selbstverständnis und erwiesener Praxis gönnt. Ich beginne zu begreifen,
daß sich so vermutlich menschliche Eigenschaften ausdrücken, die nichts
von Verfälschung haben, sondern konstituierend sind.
Ich bevorzuge eine schlichte Version dessen,
was der Begriff „Redlichkeit“ benennt: ein Fließgleichgewicht zwischen
dem Denken, Reden und Tun beim Verzicht auf verdeckte Intentionen. Ist
das nicht wenigstens als erklärtes Ideal vorhanden, zerbricht vermutlich
jedes Gemeinwesen, gingen die Wege Richtung Faustrecht, das sich in
faschistischer Variante als „Primat der Tat“ aufspielt.
Dahinter
eröffnet sich dann aber viel Spielraum und die Verletzung solcher
Prinzipien geht recht ungeniert mit der Verletzung von Menschen einher.
Vielleicht kann das gar nicht anders sein, weil wir so sind.
Wie
überrascht war ich, als ich dieser Tage nachgesehen habe, was im
regionalen Kulturgeschehen bisher an Vernetzungsbestrebungen
stattgefunden hat und wie das jeweils ausging.
Das Thema boomt
aktuell durch die Corona-Krise. Beim Kulturvölkchen hagelt es
Solidaritätsrufe und Vernetzungsappelle. Ich hab oft betont: Vernetzung
ist kein Inhalt, sondern ein Werkzeug. Was wäre also gegenwärtig die
inhaltliche Dimension solcher Appelle? (Wissen wir noch nicht!)
Ich kann derzeit rund 30 Jahre des Geschehens überblicken. Es scheint,
als hätte keiner der zahlreichen Ansätze zur regionalen Vernetzung
Kunst- und Kulturschaffender in Autonomie jene Phase überstanden, in der
a) ein, zwei engagierte Personen sich mit ihren persönlichen Ressourcen
verausgaben und/oder b) ein Projektbudget aus öffentlichen Geldern noch
hinreicht.
Es läßt sich etwas generell sagen: Ist die
tragende/engagierte Person ausgebrannt und/oder das gewährte
Projektbudget verbraucht, endet die Vernetzung. Dann verschwindet
entweder der Effekt oder eine lokale/regionale Verwaltungseinheit
übernimmt den Laden und verramscht das Vorhaben zugunsten eigener
PR-Effekte.
Sehen Sie sich die Liste und die
damit verknüpften Dokumentationen an! Ich hab das in großer Vielfalt und
dichter Abfolge erlebt, so daß mein aktuelles Fazit erhebliche
Aussagekraft hat. Der Kernbereich meiner Dokumentation umfaßt den
Zeitraum zwischen 1985 bis 2015. Die entaschende Vorgeschichte ist auch
enthalten.
-- [1985 bis 2015: Das Protokoll] --
Mein aktuelles Fazit: „Ich habe nach diesen 30
Jahren von dieser Idee gelassen und vermute, es braucht einen ganz
anderen Denkansatz, um da etwas weiterzubringen. Ich wüßte aber im
Moment nicht, wie der aussehen sollte, hab auch zwischen 2015 und 2020
diesbezüglich keine Idee gehabt.“ Siehe: „Netzwerke
und prozeßhafte Arbeit, Teil II“!
-- [ Kulturpolitik]
-- |