19. Juni 2020

Nichtwissen

Wir haben keine angemessene Kultur mit Nichtwissen umzugehen. Das wird in Krisensituationen wie der Corona-Pandemie besonders schlagend. Während der letzten 100 Tage konnten wir zum Beispiel staunenswerte Situationen beobachten, was geschieht, wenn eine erklärte Fachkraft offen sagt: „Ich weiß es noch nicht.“

Das Problem ist keineswegs neu. Aber es hat ungleich schärfere Konturen, seit das Posieren zu einem Hauptereignis gesellschaftlicher Prozesse wurde. Es war überdies lange nicht so deutlich wie in den Tagen des Donald Trump. Der setzt seine Position bedenkenlos ein, um Menschen, die ihm widersprechen, als Fake und als Volksfeinde zu denunzieren.

Das hat ungefähr die Qualität jener Intellektuellenfeindlichkeit der Nazi, welche Andersdenkende nach Kräften abgeschafft haben. Die bitteren Früchte jener faschistischen Intellektuellenfeindlichkeit genießen wir bis heute.

All das korrespondiert mit zwei auffallenden Aspekten, die in den vergangenen zehn Jahren deutlich Gewicht zugenommen haben. Politik ist in manchen Abschnitt zu einer Praxis der Public Relations verkommen. Der Kulturbetrieb wurde stellenweise zum Knecht des Marketings.

Darin hat sich das geistige Klima verändert. Wir hätte als Berufsgruppe (Kunst- und Kulturschaffende) deutlich und beharrlich widersprechen können. Es ist kaum bis gar nicht geschehen. Die Konsequenzen können nicht mehr übersehen werden.

Ich hab mich im gestrigen Eintrag gegen die dauererregten Hype-Hopper ausgesprochen, von denen mir auch im Kulturbetrieb zu viele untergekommen sind. Da ist einerseits eine spezielle Mischung aus Kopflosigkeit und Wichtigtuerei (Verschwörungs-Ministranten). Da sind anderseits ziemlich bedenkenlose Krisengewinnler, die ihre Geschäftsmodelle auf solche Zusammenhänge setzen.

Dazu kamen Corona-Kollaborateure, welche nicht bloß für sich der Idee von Sicherheitsmaßnahmen gespottet haben, sondern auch andere dazu angeregt haben. Egal, wie man das alles bewerten möchte, es illustriert, daß wir als Gesellschaft nicht gerüstet sind, Prozesse kollektiver Erfahrungen zu durchlaufen, in denen wir mit Unkenntnis und der Notwendigkeit von bevorstehendem Wissenserwerb entspannt, konzentriert und kompetent umgehen.

Die Pandemie hat offenkundig gemacht, was ich seit zehn Jahren beobachten kann, was ab 2015 eine merkliche Dynamik erhielt: die Provinz ging kulturpolitisch schwungvoll in das vorige Jahrhundert zurück und diverse Managements haben Kulturbudgets für PR-Aufgaben gekapert.

Das betrifft auf jeden Fall die Oststeiermak. Ich hab das eben überprüft; ausgehend von der Annahme: „Die Kulturreferenten sind naturgemäß die politischen Anwälte des geistigen Lebens ihrer Kommunen, nicht bloß für unterhaltende Programme und Zeitvertreib zuständig.“

Daher sollte a) Kulturreferate erkennbar auf die Pandemie und die Krise des Landes reagiert haben, es sollten aber auch b) Kunst- und Kulturschaffende sich kulturpolitisch geäußert haben. Sonst entstünde ja der Eindruck, am Regelbetrieb wäre - trotz Lockdown und diverser Krisen - nichts zu tun.

Also habe ich die Websites der acht maßgeblichen Städte in der Oststeiermark durchgesehen. Das Ergebnis ist verblüffend. Die webgestützte Kommunikation der politisch verantwortlichen Kräfte ist… Null! Siehe dazu den Überblick in: „Kulturpolitik nach dem Lockdown“

Keine Mitteilungen, keine Angebote, keine Statements zu diesem radikalen Umbruch, denn es muß klar sein, daß unsere Gesellschaft aus der aktuellen Krise verändert herausgehen wird. Ich hab bis heute auch keine Hinweise entdecken können, daß sich Kunst- und Kulturschaffende bei uns in dieser Sache exponiert hätten. Die meisten primären Kräfte der regionalen Wissens- und Kulturarbeit schweigen also… (Eine kleine Übersicht)

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