18. Juni 2020
Hype-Hopper
Noch nie zuvor sah ich
mich so anhaltend mit einer Art aufgeklärtem Voyeurismus konfrontiert;
daß also erkennbar gebildete Leute plötzlich tage- und wochenlang
hauptsächlich Schreckensmeldungen posten und sich darüber erregen.
Was sich inzwischen an Verschwörungs-Ministranten, Krisengewinnlern
und Corona-Kollaborateuren formiert hatte, braucht nun neue
Geschäftsmodelle, denn Österreich wirkt recht stabil. Das bedeutet: wir
haben derzeit – wie es schein - keine unkontrollierten
Verbreitungsschwerpunkte, von denen man weiß. Unser Gesundheitssystem
ist allem, was aktuell im Covid-19-Kontext an Erkrankungen auftaucht,
gewachsen.
Klar ist, die Gesellschaft hat
gelitten. Die Wirtschaft hat gelitten. Was immer schon an
Konfliktquellen da war, wurde getriggert und verstärkt. So zum Beispiel
die Tabuzone Innerfamiliäre Gewalt. Der ORF meldete heute:
„Mehr Gewalt infolge der Corona-Krise: Die Frauenhäuser in Österreich
verzeichnen derzeit 43 Prozent mehr Anrufe als sonst.“
Der
ganze Kultursektor, in dem ich emotional und existentiell zu Hause bin,
hat einen atemberaubenden Kahlschlag erlebt. Die Folgen werden wir noch
zu erkunden haben. Aber wie ich jüngst mit einer Geschäftsfrau sprach:
vom Jammern wird nichts besser.
Und die Hype-Hopper? Die
Verschwörungs-Ministranten? Einige haben inzwischen zurückgerudert, weil
ab nun mit Halbwissen und mit bloßer Ömpörung eher nichts mehr zu holen
ist: „So, das ist jetzt mein letzter Kommentar zur Pandemie“.
Andere bleiben penetrant, aufdringlich, sogar auf persönlicher Ebene,
wie eines dieser Herzchen, die ich auf diversen Internet-Kanälen schon
blockiert hab: „Wie sieht es den aus mit Deiner Panikmache Hr
Krusche“.
Das Wort Hype wurde vom englischen „hyperbole“
abgeleitet, was Übertreibung bedeutet, „Hyperstatement“.
Wer also von Hype zu Hype galoppiert, keine populäre Erregung
ausläßt, sie in Ömpörung umsetzt, um auch gesehen und
gehört zu werden, findet heute freilich kaum noch genügend Zeit,
sich ein Thema inhaltlich zu erarbeiten.
Zu viel
geschieht weltweit. Alles erreicht uns via Medien. Vieles davon
wird aus verschiedenen Gründen auch noch verstärkt,
aufgebauscht. Wer nun auf Facebook oder sonstwo eine
Art Dauererregung pflegt, einen individuellen Alarmismus übt, wird
zum Hype-Hopper, zu einer Art von umherirrender
Alarmsirene, die Anlässe zur Moraltrompeterei nie lange suchen
muß.
Eben erst waren Peter und Greta gefällige
Anlässe für solche Erregungen, also Handke und Thunberg. Ich
greife ein paar plakativ nutzbare Daten heraus, zu denen wir
jeweils die Wahl hatten, a) uns via Social Media auszulassen
oder b) die eigene Kompetenz und Handlungsfähigkeit zu den
jeweiligen Themen in Stellung zu bringen. Rund fünf Jahre
Dauererregung in einigen prominenten Punkten:
+) Der
Anschlag auf Charlie Hebdo (7. Januar 2015)
+) Anschlag auf Bataclan etc. (13. November
2015) +) Donald Trump wird US-Präsident (20.
Januar 2017) +) Der Anschlag auf die Synagoge in
Halle (9. Oktober 2019) +) Der Brand von
Notre-Dame (15. und 16. April 2019) +) Peter
Handke erhält den Literaturnobelpreis (10. Oktober
2019) +) Buschbrände in Australien (Juni
2019 bis März 2020) +) Greta Thunbergs Rede
vor dem UN-Klimagipfel (Am 23. September 2019)
+) Corona-Lockdown (Ab 16. März 2020)
+) Die Tötung von George Floyd
(25. Mai 2020)
Der Hype-Hopper will alles
verschlingen und danach im Stil einer Drama Queen mit großer
Geste wieder auskotzen. Kann man machen. Aber wozu?
-- [Die
Novelle] -- |