13. Juni 2020
Die 13. Woche
Nun endet die 13. Woche Lockdown.
Ich erlebe wenigstens die letzten zehn Tage als weit geselliger und
merklich unbeschwerter denn die Zeit davor. Es kommt auch langsam wieder
dazu, daß ich Gäste an meinem Tisch hab.
Zugleich hat es etwas Beklemmendes, wenn ich die Unruhe
meiner Leute betrachte. Wir sind zwar immer noch einer unsichtbaren
Bedrohung ausgesetzt, haben aber für diese Krisenerfahrung weit
komfortablere Rahmenbedingungen als es je möglich war.
"Kein
Corona-Fall in dritter österreichischer Stichprobenstudie. Die
Dunkelziffer-Obergrenze liegt damit zwischen 6.000 und 3.000 Personen."
[Quelle]
Das heißt vermutlich, beim Bodycount unter Toten wird die aktuelle
Pandemie von etlichen anderen Gefahrenquellen übertroffen. Aber ist das
der Punkt, aus dem ich nun nützliche Schlüsse ziehen kann?
Ich tendiere zu einer Auffassung, in der mich vor allem zwei Aspekte
bewegen. Erstens muß ich die ganz individuellen sozialen und
wirtschaftlichen Konsequenzen der Lockdown-Situation bewältigen.
Zweitens verstehe ich den Lockdown als eine Art Katastrophenschutzübung
für ein Land.
Dabei danke ich meinem Schicksal, daß
die Bedrohung, das Virus, so nebulös bleibt und daß ich annehmen
darf, in meiner Gegend und bei meinem Verhalten ist die
Wahrscheinlichkeit für den Kontakt mit Covid-19 nahe Null.
Ich bin von ganz
anderen Eindrücken geprägt, wenn man davon absieht, daß ich Zeit
auf der Intensivstation (samt Schlauch in der Lunge) schon
einmal hatte. Das ist so übel, man wünscht es niemandem. Aber
ich halte gerade Rückschau, da mein Langzeitprojekt „The Long
Distance Howl“ im 18. Jahr angekommen ist. Auf die geplanten 20
Jahre fehlt also nicht mehr viel; siehe dazu die Notizen bei
Kunst Ost: [link]
Diese Projekt ist sehr stark von den Begegnungen mit
südslawischen Leuten geprägt, von der Kooperation mit Menschen
aus dem untergegangenen Jugoslawien. Das meint naturgemäß auch
die Auseinandersetzung mit den Bedingungen und Traumata aus den
Balkankriegen der 1990er Jahre.
Im Juni 1991 begannen in
Slowenien Kriegshandlungen, die Konsequenzen eines äußerst
komplexen Kräftespiels waren. Der Begriff Jugoslawien wurde als
Name eines Staates in jenem Jahr hinfällig, da ich mit dem
„Howl“ begann. Die vormalige Bundesrepublik Jugoslawien nahm
2003 eine neue Verfassung an und benannte sich in Serbien und
Montenegro um.
Für mich schien plausibel, was eine
markante Position in der Geschichtswissenschaft ist: das 20.
Jahrhundert wurde für uns mit dem Großen Krieg eingeleitet, mit
dem Untergang Jugoslawiens abgeschlossen, wobei jedes Mal
Sarajevo eine exponierte Position hatte.
Das ist mit drei
Generationen abgedeckt, ist von meinen Großeltern zu mir in
einer Kette von Erfahrungen zusammengefaßt. So erscheint es mir
symbolträchtig, daß nun unter den ersten Gästen im Lockdown die
Sängerin Irina Karamarkovic an meinem Tisch saß. Sie ist
serbisch, was die Ethnie angeht, stammt aus Prishtina im Kosovo.
Natürlich ist ihre Biographie von radikalen Erfahrungen
geprägt. Und hier sind wir nun, mit den Bedingungen als
Freischaffende im Kunstbetrieb, mit den unterschiedlichen
Lebensverläufen und Lebenskonzepten, Irina überdies Mutter eines
grade erst neunmonatigen Sohnes.
Wir können uns nicht mit
Obskurantismus befassen, sondern müssen in diesem Lockdown sehr
konkret auf (unterschiedliche) Anforderungen reagieren, deren
Konsequenzen uns niemand abnimmt. Das teile ich auch mit
etlichen anderen Menschen in meinem Umfeld, die während dieser
bisher dreizehn Wochen erheblich unter Druck geraten sind.
Auswege? Wir arbeiten dran…
-- [Lockdown] -- |