29. Mai 2020
Zornige junge Männer
Martin G. hat
etwas gegen Nazi-Bonzen. Und gegen Prominenz außerhalb seines
Verehrungs-Schemas. Martin G. hat etwas gegen Menschen, die ihm
widersprechen.
Da kann er in Bestzeit von Null auf brüllende
Beleidigung sprinten. Martin G. ist unübersehbar ein zorniger
junger Mann, das belegt seine Timeline auf Facebook.
Ein
Aphorismus, von einer Frau gepostet, wurde zum Anlaß unserer
virtuellen Begegnung: „Ich versuche, jeden Menschen, den ich
treffe, wie einen alten Freund zu behandeln. Das vermittelt mir
ein echtes Glücksgefühl.“
Der zornige Kerl, für den eine
sanftmütige Frau offenbar leicht zur Provokation wird,
quittierte ihr Posting mit der Frage, ob das auch auf Mao Zedong
anzuwenden wäre. Der weitere Dialog machte deutlich, daß er
einen polemischen Hieb als Frage verkleidet hatte.
Damit
war schon einmal ein sehr interessanter Gedanke vergeudet. Was
würde tatsächlich geschehen, wenn man einem Massenmörder wie Mao
auf solche Art begegnen wollte?
Wer sich so energisch an
Nazi & Co. stößt, wie der zornige Martin G., könnte einmal auf
Hannah Arendt gestoßen sein, die bezüglich „Eichmann in
Jerusalem“ etwas sehr Kühnes gewagt hatte, wofür sie damals von
annähernd allen Seiten gescholten wurde.
Arendt weigerte
sich, Eichmann als Monster zu betrachten. So entdeckte sie eine
verblüffend kleine und etwas erbärmliche Person hinter der
historischen Figur. Sie gab uns einen exzellenten Denkanstoß,
nämlich über eine „Banalität des Bösen“ nachzudenken, also die
Luft aus dem Popanz zu lassen und nachzuschauen, was sich dann
zeigt.
Dieser mutige Schritt, eine angefochtene
Denkleistung, hat eine eigentümliche Resonanz mit dem eingangs
zitierten Aphorismus. Aber darauf muß man erst einmal kommen.
Daher fragte ich Martin G.:
„ah ja, also: einen
freundlich gemeinten denkanstoß, der vielleicht nicht unbedingt
eine sachverhaltsdarstellung sein möchte, auf einen massenmörder
wie mao anwenden, das verspricht genau WAS an erkenntnis?“
Seine Replik: „Der Herr Lama war verdammt gut mit
Nazibonzen. Bist du des lesns nicht mächtig? OMG“ (Wenn große
Tragöden sich Leuten auf den billigen Plätzen mitteilen, ist
dieses „Oh mein Gott!“ derzeit sehr populär.)
Zweite
Frage: „aha. niedrige reizschwelle. was genau willst du mir denn
jetzt sagen?“ Martin G. erwiderte: „Hol da 1nen runter. Aber auf
tibetisch!“
Ich verzichte auf weitere Zitate.
Bemerkenswert, daß der zornige junge Mann andere Menschen in
Sachen Menschenwürde belehren möchte; mit seiner Angriffslust,
Abschätzigkeit und mit seinen Grobheiten. Genau diese Art der
Anmaßung und Aggressivität gegenüber Andersdenkenden kennen wir.
Aus solchen Reihen hatte seinerzeit etwa die SA ihre Leute
rekrutiert, jene paramilitärische „Sturmabteilung“ der NSDAP,
die eingesetzt wurde, um die eigenen Leute zu terrorisieren.
Wenn ich also auch nicht genau weiß, wie man sich „tibetisch
einen runterholt“, weiß ich das mit Sicherheit: solche Konsorten
lassen sich recht zweifelsfrei identifizieren.
Fußnote:
Für Frauen gibt es weltweit nichts Gefährlicheres als zornige
junge Männer. Aber das setze ich als bekannt voraus.
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