28. Mai 2020

Je mehr ich mit sachkundigen Leuten über Viren, Bakterien und Parasiten rede, desto langweiliger erscheinen mir aktuell populäre Verschwörungs-Arien. Was die Natur uns zeigt, ist stellenweise so irritierend Fantasy plus Science Fiction, auf Thriller gebürstet, da schlaf ich bei den Geschichtchen der Corona-Kollaborateure ein. Aber der Reihe nach!



Tierarzt Karl Bauer

Es wiederholt sich. Der Rucksack hängt mit einem Riemen an meiner Schulter, denn am fünften Tag haben sich meine Vorräte nach dem letzten Einkauf erschöpft. Das ist für sich schon eine Neuerung. Vor dieser Pandemie hab ich immer bloß kurzfristig und nach direktem Anlaß eingekauft.

Also bin ich auf dem Weg, treffe lebhafte Leute, lande bei ein paar Drinks und geh mit leerem Rucksack nach Hause. Das allein heißt schon, ich bin in der Vorratshaltung merklich schlauer geworden, denn das geht sich allemal aus.

Ich hab im Lockdown viele Anregungen zur Welt der Gewürze bezogen, was meinem Grundbestand an Kartoffeln, Reis und Polenta neue Dimensionen eröffnet. Gestern lag es an Fotograf Gernot Muhr, mich von rechten Weg abzubringen, nachdem ich einige Bruchstellen in der Stadt fotografiert hatte.

Seine Berufslaufbahn ist von mehreren markanten Technologiesprüngen geprägt, wobei ich es sehr interessant finde, wie sich quasi über die letzten Jahre ein Kontrast erhoben hat, in dem ein Smartphone mit seinen zeitgemäßen Fotofunktionen dem Mittelformat gegenübersteht und in den gleichen Profi-Händen Nützlichkeit entfaltet.

Wir saßen schließlich zu viert an unseren Drinks und ich konnte mir von Tierarzt Karl Bauer allerhand über Seuchen erzählen lassen. Veterinäre meiner Generation haben ja viel praktische Seuchenerfahrung, was deren erheblichen Unterschied zu Humanärzten macht.

Ich hab hier schon erwähnt, daß ich Viren für ein faszinierendes Naturphänomen halte. Daß etwas Lebloses, welches daher auch ohne eigene Intention sein muß, existieren will und sich vermehren kann, bietet mir eine Vorstellung, wie komplex die Natur ist. Allein angesichts dieses Phänomens erscheint es mir ja etwas lächerlich, wenn sich der Mensch zum Beherrschen der Natur aufschwingen möchte.

Bauer erzählte, daß Viren zu Verhaltensänderungen führen können. So tendieren etwa infizierte Mäuse oder sogar Ameisen dazu, Freßfeinden intensiver entgegenzugehen, um sich verschlingen zu lassen, was dem Virus weiter Verbreitungsmöglichkeiten schafft. Das nimmt dem menschlichen Geist ein wenig an Glanz. Natur wirkt auf Weisen, die mich staunen machen.

Je mehr ich mir solche Zusammenhänge erläutern lasse, desto deutlicher wird mir die Unzulänglichkeit meines Naturverständnisses. Ich mochte übrigens auch, wie unaufgeregt Bauer über solche Dinge spricht, zum Beispiel über Parasiten.

Nun verstehe ich langsam besser, weshalb jenes dummdreiste Verhalten blühen kann, das mir Corona-Kollaborateure und Verschwörungsliebhaber vorhüpfen. Dieses galoppierende Desinteresse an Wissenserwerb (= Arbeit) will sich in "gefühlte" Klarheiten hüllen und führt so zu diesem brüllenden Geschwurbel, das an reale Naturphänomene einfach nicht heranreicht.

Dabei ist schon das, was man erfahren und dann wissen kann, wenn man über Viren, Bakterien und Parasiten nachdenkt, derart schrill, pittoresk, abgefahren, dagegen erscheinen mir derzeit kursierende Greuelgeschichten etwas fad und fahl.

Heute werde ich übrigens meine Gespräche mit Inge und Franz Wolfmayr weiterführen können, erfahrene Kräfte, um mit ihnen dieses Wechselspiel „ausdrücken oder ausleben“ zu erkunden. Die mit sich selbst und mit andren gelingende Kommunikation, um Gemeinschaft voranzubringen und Gewalttätigkeit zu bannen…

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