8. April 2020
Es ist die vierte Woche im Lockdown. Ein Glück, daß ich schon
gegen Ende 2019 begonnen hatte, meine über einige Jahre in sich
zusammengebrochen Kochkenntnisse aufzurichten, zu erweitern. So
läßt sich der Knast mit Ausgang gut gestalten.
Manchmal
ist die Stille erdrückend. So lange die Stromversorgung und der
Webzugang stabil bleiben, läßt sich ein Stück Geselligkeit
einrichten, das die Situation freundlicher werden läßt. Ferner
mache ich jeden Samstag um 19:00 eine Flasche auf, eine
absolvierte Woche Lockdown zu begießen, um auf das Leben und die
Poesie zu trinken.
Bücher in Bodenhaltung, Staub aus vergangenen Tagen und
Cava
Manche Menschen schließen sich dem in Telepräsenz an. So wie
jüngst Musiker Oliver Mally, mit dem ich auch laufend
Plauderstündchen zum Stand der Dinge abhalte. Es ist
bemerkenswert, wie diese Krise in unserem Metier Charaktere so
deutlich hervortreten läßt und den Zustand verschiedener Genres
klarer sichtbar macht.
Die kulturpolitische Agonie der
steirischen „Szene“ erweist sich jetzt als jenes Bleichmittel,
dank dessen die eigentlichen Schriften sichtbarer werden. Ich
verzichte inzwischen darauf, das im Detail zu kommentieren. Es
reicht ja völlig, zu bemerken, wie sich ein Großteil des derzeit
auffindbaren kulturpolitischen Diskurses in Appellen und
Petitionen erschöpft.
Man müßte das gegen Geld anbieten: Der Schriftsteller als
Petitionsverfasser und Appell-Dichter. Ein Zubrot. Natürlich scherze
ich. So ertrage ich zwischendurch, daß die eben erst neu formierte
Stabilität meiner eigenen Geschäfte in einem fulminanten kleinen
Feuerwerk zerflogen ist.
Mally hat es auch lustig.
Organisationsarbeit ohne Ertrag, weil sie ins Leere gegangen ist.
Konzerte abgesagt, also keine Auftrittshonorare. Das heißt überdies,
nach der nächsten AKM-Abrechnung kaum Tantiemen, also auch diese
Quelle weitgehend zugeschüttet.
|
Der Sir bevorzugt Whiskey |
Das sind eben unter anderem die betriebswirtschaftlichen
Zusammenhänge einer Künstler-Existenz. Wenn der Markt
zusammenbricht, egal wodurch, werden die meisten von uns hart
aufschlagen. Das ist einfach so und keine Klage ändert daran
etwas.
Wir sind in die Kräftespiele eines äußerst
effizienten Kapitalismus eingesponnen. Ich muß das hoffentlich
nicht erläutern. Wir sind in einer Mischung aus Kaltem Krieg und
Kapitalismus aufgewachsen. Die Lektionen daraus sollten sitzen.
Eigentlich hatten wir zum Beispiel Ende der 1970er Jahre
begonnen, aus diesen Erfahrungen heraus kulturpolitische
Konzepte zu ersinnen, welche in der Praxis erprobt wurden. Ich
erinnere mich gut, daß wir in diesen Prozessen wichtige
Denkanstöße von anderen Kontinenten her erhielten.
Das reichte von Paulo Freire bis Ken Saro-Wiwa, die aufgrund
weit radikalerer Lebensbedingungen auch weit radikalere Denker
waren. Solche Anregungen haben wir in den Regionen mit Diskursen
autochthoner Leute verzahnt. Da waren etwa Leute wie Hans und
Gerlinde Haid sehr wichtig.
Aus den Frauenbewegungen
kamen ebenfalls sehr wesentliche Denkanstöße. Wir erzählten uns
also nicht die angeblichen Weisheiten angeblicher alter
Indianer. Wir erbauten uns nicht an der angeblichen Klugheit
angeblicher Schamanen. Und wenn wir schon nicht anders konnten,
als Dostojewski oder Kafka zu zitieren, dann weil wir deren
Bücher gelesen hatten, statt Zitate zu googeln.
Ich
sollte eigentlich entsetzt sein, was an Eurozentrismus und
Kolonialstil derzeit hochkocht, wo betulicher Helferseelen
völlig bedenkenlos fremde Kulturen plündern, oder – noch
zynischer – die Weisheiten fremder Kulturen simulieren, um
unsere Angelegenheiten zu beflügeln. Dagegen waren Cortez und
Pizarro Chorknaben.
Hat je eine Generation vor
meiner mehr Freiheit, Sicherheit und Wohlstand nutzen dürfen, um
so ein reiches Spektrum an Inspiration nutzen zu können? Ich
meine, diese Dimension gab es in der Menschheitsgeschichte vor
den 1950er Jahren überhaupt nicht.
Das bedeutet in meinem
Fall, daß ich zwar den kapitalistischen Usancen ausgeliefert
bin, die sich natürlich auch in meinem engsten Umfeld etablieren
konnten, was ganz gerne geleugnet wird, aber zugleich habe ich
einen Schatz an der Hand, mit dem sich sehr gut arbeiten läßt.
Mit Schatz meine ich die Inhalte und Erfahrungen jener
Prozesse seit den 1970ern, dank derer wir unsere Professionen
entwickeln konnten. Wem das nicht reicht, mehr wird es
nicht.
-- [Epidemische
Optionen] [Nächste
Kulturpolitik] -- |