4. April 2020

Containment

Ich wünschte, ich wäre sorglos. Das fiel mir eben ein und hat mich amüsiert, weil mir auffiel, daß ich vergessen hatte, mir das zu wünschen. Klingt verwirrend? Um es auseinanderzuklauben, die letzten fünf Jahre waren für mich so unfreundlich, laufend davon bestimmt, mir Sorgen zu machen und Probleme zu lösen, daß ich vergessen habe, mir Sorglosigkeit zu wünschen.

Das Originelle daran, die herrschende Pandemie und der Lockdown schaffen Bedingungen, für die ich dank dieser Jahre bestens trainiert bin. Ich hatte also nicht das geringste Umstellungsproblem. Wird es dadurch angenehmer, diesen Lockdown zu leben? Nein!

Was zählt gerade? Für mich sind es überschaubare Punkte. Konzentration darauf, was an Ressourcen verfügbar ist. Nicht zum Zyniker zu werden. Auf das Geld achten. Und jeden Samstag begieße ich eine weitere Woche Lockdown in meinem Knast mit Ausgang mit einer ausgewählten Flasche.

So lange die Stromversorgung klappt und die Online-Zugänge stabil sind, habe ich eine Menge Handlungsmöglichkeiten in meinem vertrauten Metier. Das ist ein großer Vorteil gegenüber anderen Berufen. Was weiter?

Wie andere dafür sorgen, daß in ihrem Metier nicht alles stillsteht und verreibt, tue ich das in meinem. Stagnation kann zu leicht in Agonie übergehen. Ich habe mich warnen lassen. Das sei ein großes Problem für Menschen, deren Ringen um Auswege gescheitert wäre: Agonie.

Was nun die Kunst angeht, die Kunstpraxis im engeren Sinn, liegen keine neue Fragen an, weil diese Praxis naturgemäß immer neue Fragen aufwirft. Damit will ich sagen, für den Weg in die Kunst ist die Pandemie unerheblich, kann zum Thema werden, muß es nicht. Was immer jemand an Themen wählt, dafür sind die Arbeitsbedingungen unterschiedlich schwierig. Das muß individuell gelöst werden.

Mit kulturpolitischen Fragen sieht das anders aus. Da besteht erheblicher Arbeitsbedarf. Der ist nicht bewältigt, indem man sich nun in Kolonnen einreiht, die a) staatliche Soforthilfe für Kunst- und Kulturschaffenden fordern, die b) ein „Bedingungsloses Grundeinkommen sofort!“ fordern. Um es kurz zu machen, das zu fordern kann jeder. Damit ist noch nichts getan.

Mich interessiert und beschäftigt, welche kulturpolitischen Aspekte nun bearbeitet werden könnten, um in jener Gesellschaft etwas zu taugen, die sich nach der Pandemie als verändert zeigen wird. Wie kommen wir dort hin?

Unter den derzeit kursierenden Thesen beeindruckt mich folgende am stärksten. Wir schaffen keinen Lockdown, bis Herdenimmunität erreicht ist, dabei ginge uns die Wirtschaft zu nachhaltig kaputt. Also sollten wir jetzt, eben durch den Lockdown, zur Containment-Phase zurückkommen.

Das bedeutet, die Pandemie so eingrenzen, daß die Ansteckungsverläufe wieder überschaubar, überprüfbar sind. Das heißt, wir sollten eine gesellschaftliche Situation schaffen, in der die Reproduktionsrate des Covid-19 auf nahezu 1 runtergeht, was bedeutet: im Durchschnitt steckt eine infizierte Person nur mehr eine, möglichst weniger als eine andere Person an.

Genau das wird unter Containment verstanden. Eindämmung. Unter diesen Bedingungen könnte effizient an den Problemen gearbeitet und die Wirtschaft wieder stärker raufgefahren werden. Aber wie erwähnt, ich hab mich um mein Metier zu kümmern, so etwa um kulturpolitische Fragstellungen.

P.S.:
Die Bilder von oben nach unten: ein aussortiertes T-Shirt, eine Gewürzmischung aus meuinem laufenden Selbstversuich, eine Flasche zum Begießen einer weiteren Lockdown-Woche. Dies ist Blatt Nummer 2750 meines Logbuchs.

-- [Epidemische Optionen] --

[kalender] [reset]