1. April 2020

Wegelagerer

Es gibt diese Redensart, wonach jemand, der nicht wissen will, eben glauben müsse. Ich hab keine Ressentiments gegenüber Glaubensgegenständen, solange es Bereiche der Transzendenz betrifft. Im realen Leben, sofern es um Alltagsbewältigung geht, nehme ich es gerne etwas genauer.

Diese Pandemie, in der uns ein unsichtbarer Feind zu schaffen macht, den man außerdem eine Weile nicht bemerkt, falls er einen erwischt hat, drängt uns in interessante Erfahrungen. Dabei feiert nun auch der Obskurantismus Feste. Ein obszönes Theater.

Im Kontrast zu konventionellen Kaufhäusern entfalten sich
via Web stets auch obskure Angebote

Besonders widerwärtig erscheinen mir jene Leute, die einerseits recht unsinnige Dinge verkünden, um das andrerseits gleich mit einem Warenangebot zu verknüpfen, mit einer Kaufgelegenheit. Ein Beispiel, das mich jüngst über Facebook erreicht hat:

„Einladung zur Teilnahme jedes Einzelnen an weltweiter gleichzeitiger Meditation am 5. April um 4:45 morgens zur endgültigen Auslöschung des Corona-Virus. Es sind 1 Million Meditierende gleichzeitig nötig, um diesen Effekt erreichen zu können. Wenn du dich an dieser weltweiten Meditation beteiligen möchtest, bitte Termin im Kalender eintragen (und den Wecker rechtzeitig stellen): 5. April um 4:45 früh (mitteleurop. Sommerzeit), Dauer 20 Minuten. Meditationsanleitung für 5.April um 4:45: (bitte gleich kopieren und am Handy oder PC speichern, oder noch besser in papierform ausdrucken auf das Nachtkästchen zu legen, um sie dann griffbereit zu haben).“ [Die komplette Anleitung]

(Ein paar Fragen: Woher kommt die Zahl? Exakt eine Million Leute? Weshalb? Was bemißt sich danach? Und wie genau wirkt das auf ein Naturphänomen (Viren), das nicht einmal Zellen und einen Stoffwechsel hat? Welche Beispiele für das Gelingen solcher Prozeduren kennen wir? Aus welchen Quellen stamm dieses Konzept? Was ist seither geschehen und wo ist der Effekt schin eingetreten?)

Derlei Empfehlungen halte ich für ein sehr unseriöses Geschäftsmodell. Zu solchen Vorschlägen gibt es dann auch Produktangebote wie „Eine Krise? Existentielle Ängste? Hier ist meine Lösung: ganz simpel. Young living und xxxx.me.“ Das kommt gleich nach den Tabs, dank derer man angeblich ohne jede Mühe und Ernährungsumstellung seine belastenden 30 Kilo in ein paar Wochen los wird.

Die überaus plausiblen Ängste von Menschen, ihre Sorgen auf solche Art zu bewirtschaften, das halte ich nicht bloß für ein miserables Benehmen, wer jetzt solche Versprechungen raushaut und das womöglich noch mit einem Warenangebot verknüpft, hat das Zeug zu strafbaren Tatbeständen.

Da wird also ein völliges Nichtwissen zu einem Geheimwissen auffrisiert und mündet in so eine Botschaft: „Bitte teilen und weitersagen, um die nötige Anzahl von 1 Million Teilnehmern motivieren zu können - es geht um uns alle, wir sitzen gemeinsam im Boot Erde!“

Solche Konsorten organisieren sich dann unter bunter Flagge: „Eine community, die sich für Bewusstseinsentwicklung und Heilthemen interessiert, sich gegenseitig bereichern und unterstützen.“ Die Geschäftsidee sieht so aus: „Gute Verdienstmöglichkeiten, passives einkommen (wir können uns gegenseitig existentiell am Leben erhalten, das ist unsere Verantwortung und unsere Pflicht für uns selbst zu sorgen, für unsere Familie, unsere Gemeinschaft, unabhängig von Arbeitgeber oder Arbeitsamt)“

Doch vielleicht sollte ich einfach zur Kenntnis nehmen, daß Aberglaube zu menschlicher Gemeinschaft gehört. Vielleicht ist es eine legitime Reaktion auf Formen von Überforderung. Gegen solche Konzepte als Privatmythologie wäre wohl nichts einzuwenden. Aber solche Dinge via Massenmedien zu verbreiten, das verlangt Einspruch.

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