8. März 2020

Seit geraumer Zeit verdichten sich derlei Momente. Methodisches Denken wird belächelt bis herabgesetzt. Wir erleben zwar die auffallenden Nachteile für Gesellschaften, wenn vorherrschende Leute das ebenso tun und Einwände gegen ihre Ansichten als „Fake News“ abschmettern, aber was immer den eigenen Denkhorizont übersteigt, löst offenbar Verdacht aus.

Ich wünschte, Mehrheiten dieser Gesellschaft würden sich langsam entscheiden, wie sie es denn gerne hätten. Zugleich habe ich größte Lust, mich mit Menschen anzulegen, deren Klappe größer ist als deren Reflexionsvermögen.

Gestern war ich beim Saisonauftakt der Alltagsklassiker in Graz. Ich genieße die Stunden mit den Schraubern stets. Menschen mit Leidenschaft, mit Sachkenntnis, übrigens auch Frauen darunter. Alle haben irgendwelche Themenschwerpunkte, bei denen sie vorzüglich Bescheid wissen, befassen sich mit Querverbindungen zu anderen Themenfeldern.

Wir unterhalten uns vorzüglich, weil es stets viel zu erzählen und folglich zu erfahren gibt. Eine kühne Mischung aus Gschichterln und Fachwissen. Woher hatte Fiat als Company die Wirtschaftskraft für diese unglaubliche Modellpalette? Stückzahlen und Schutzzölle. In Italien konnte man lange kaum andere Marken kaufen. Du gibst Eier zum Nudelauflauf? Ich nicht. Und das mit dauernd den Braten begießen ist Blödsinn. Laß das Backrohr zu, damit das feuchte Klima nicht entfleucht.

Ziehen Sie keine voreiligen Schlüsse, wozu sich hier gestern Männer und wozu sich Frauen geäußert haben. Also: methodisches Denken. Kein guter Handwerker könnte darauf verzichten. Wer kluge Lösungen schafft, gilt etwas.

Auf dem Feld der Kopfarbeit bleibt das suspekt. Ich denke nach wie vor, das sei ein Erbe der 1940er Jahre. Die Schnösel kamen zur Macht. Für sie war Ferdinand Porsche okay, Stefan Zweig aber nicht. Die größten Verbrechen wurden mit einer schillernden Intellektuellenfeindlichkeit garniert. Wer immer ihnen widersprechen mochte, spielte mit seinem Leben.

Vielleicht ist es ja nicht bös gemeint, wenn jemand solches Erbe fortschreibt. Ein kleines Beispiel. Kürzlich bekam ich ein „Machst echt auf intellektuell?“ aufgetischt, nachdem ich auf Facebook ein Wortspiel deponiert hatte: „die absenz der evidenz belegt noch keine evidenz der absenz. eh klar: da komm ich ins grübeln.“

Ich hau solche Sachen raus, um geistreiche Antworten zu kassieren. Eine Art der billigen Unterhaltung. Kennen Sie diesen Effekt? Mit Wortspielen kann man kleine Kinder dazu bringen, daß sie sich scheckig lachen. Das geht am besten, wenn man dabei den Sinn aus einem vertrauten Wort rausklopft. Da kriegen sich die Zwergerl manchmal gar nicht mehr ein.

Dieses Wortspiel mit der Evidenz ist dann schon komplexer. Ich verrate Ihnen etwas: das ist eine der Quellen von Poesie. Wir brechen Konventionen, übergehen gängigen Wortsinn, machen etwas anderes daraus. Es kann uns erfreuen, auch wenn sich dann keine konventionelle Mitteilung mehr herauslesen läßt. Es ist dieser Moment der Kunst, den wir alle in uns entzünden können. Jederzeit.

Das sind Momente, in denen sich die Conditio humana ausdrückt, denn andere Spezies zeigen – soweit wir wissen – keine Tendenz zur Poesie. Ich bin überzeugt, aus solchen Gründen wurde vor über siebzigtausend Jahren begonnen, „unnötiges“ Denken zu verfeinern, mit Gedanken zu spielen, Gegenstände herzustellen, die keinen praktischen Nutzen haben.

Weil Menschen es sich erlaubt haben, sich innerlich von der Alltagsbewältigung frei zu machen und über das Notwendige hinauszugehen. (Bei George Bataille übrigens der eigentliche Zweck unserer Existenz.).

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