22. Februar 2020

Ich hab nicht jederzeit zu allem etwas zu sagen. Nicht jeder Schrecken erreicht mich. Empörung als Entlastungsstrategie macht mich skeptisch. Ist es womöglich eine Art der Omnipotenzphantasie, seine Gefühle als Teil von „Volkszorn“ zu deuten? Muß es nicht verdächtig erscheinen, den Begriff Volk anders als in Fragen der Demographie zu verwenden?

Es ist nicht gar so lange her, daß ein Kaiser unseren Leuten zurief: “An meine Völker!” Dem sollte ein räumlich und zeitlich begrenzter Schlag gegen Serbien folgen. Es wurde der Große Krieg.

Die Anmaßung “Mein Volk” hat eine aktuelle Entsprechung mit Massentauglichkeit. “Wir sind das Volk” war meines Wissens erst ein Statement gegenüber der DDR-Regierung mit ihren verbrecherischen Schattenseiten. Inzwischen ist es der Slogan rechtspopulistischer Zusammenrottungen, die deutlich machen, daß sie eine derzeit bestehende Demokratie gerne planieren möchten.

In diesen Tagen werde ich vom Großteil des politischen Personals angeschwiegen, während solche Leute mit andauernder Phrasendrescherei etwas wie Aussagen simulieren. Ich schwanke. Manchmal nehme ich das persönlich. Manchmal empfinde ich es als eine Geräuschkulisse, die entsteht, wenn geistlose Menschen sich umtriebig zeigen.

Aber was wäre nun wünschenswert? Auf der Website von Kunst Ost habe ich vor einer Weile die LeisteEin Feuilleton eingeführt. Da rezensiere ich Wahlkämpfe. Ich begreife diese Anstrengungen heimischer Politik als eine Mischung aus Gebrauchsliteratur und Theateraufführung. Da ist es naheliegend, solche Prozesse per Feuilleton zu begleiten und zu deuten.

Kürzlich kam ich im Zentrum Gleisdorfs mit einem hochrangigen Menschen aus der Stadtverwaltung ins Gespräch. Zum Stichwort „kritische Diskurse” verdrehte er die Augen und lachte. Beim Abschied empfahl er mir, an der Tür des Café Columbia zu lauschen, wenn ich kritische Diskurse hören möchte.

Haben wir das inzwischen erreicht? Haben wir die konsequente Debatte von Themen durch Empörung und markige Statements auf Facebook ersetzt?

Oder! Akzeptieren wir allfällige Grenzen unserer Kommunikation lieber, als jene Unsicherheiten in Kauf zu nehmen, die man beim Betreten von Neuland nicht vermeiden kann? Ein kurioses Beispiel. Ich war die letzten Tage in eine kleine Debatte verwickelt. Dabei meinte ich an einer Stelle: „aber es ist eine harte lektion, daß eigene wirkmächtigkeit was viel zarteres ist, als wenn man zur gewalt greift. also auch: braucht alles viel länger und verlangt mehr geduld.“

Das brachte mir unter anderem folgende Bemerkung ein: “ohne persönlich werden zu wollen, ich hab studiert, sogar germanistik, ich schreibe selbst, aber ich kenne das wort ‚wirkmächtigkeit‘ nicht, würde es auch nie verwenden, ich verkehre auch mit nicht-akademikern; man muss den feinden der empathie auf AUGENHÖHE und mit deren worten entgegen treten…“

Wie nun? Die Akademikerin läßt mich Nichtakademiker wissen, wie mit meinesgleichen zu reden sei? Die Autorin mehrerer Bücher lehnt einen möglichen Neuzugang in ihrem Wortschatz ab? Man muß? Was auch immer?

Ich zweifle! Zur Erinnerung an Gedachtes aus der Antike: Da gab es die Auffassung, Theorie solle sich erweisen, nicht bezahlt machen. Eine Option, die mir sehr zusagt, drückt also zweierlei aus: Erkenntnisgewinn ist eine Sache, Wirkmächtigkeit, weil man an Menschen etwas bewirken möchte, eine andere Sache.

Ich ziehe es vor, mir möglichst laufend klar zu machen: Was will ich an mir bewirken: Erkenntnisgewinn? Was will ich an anderen bewirken: Verhaltensänderung? Meine Entscheidung ist klar.

Ich bevorzuge den Erkenntnisgewinn, die Verständigung mit anderen, den Austausch, den laufenden Diskurs. Ich hab kein individuelles Konzept, nach dem ich jemanden verändern möchte. Meine – zugegeben etwas luxuriöse – Vorstellung besagt: am Erkenntnisgewinn können wir gemeinsam arbeiten. Die Verhaltensänderung soll aus eigenem Antrieb und von selbst geschafft werden, außer jemand bittet um Unterstützung.

So habe ich Immanuel Kant verstanden, wie er den Ausgang aus selbstverschuldeter Unmündigkeit skizziert hat: sich seines Verstandes ohne Anleitung anderer zu bedienen.

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