17. Februar 2020 Daß Menschen meiner Herkunft und mit meinen Obsessionen den Weg in die
Kunst ökonomisch überleben können, hat eine Menge mit den
Veränderungsschüben Europas nach dem Zweiten Weltkrieg zu tun, ist so
auch in technischen Innovationen und sozialen Umbrüchen begründet. Ich
mag es deshalb sehr, in meinem Alltag und in meinem Lebensraum Wurzeln
und Spuren dieser Prozesse aufzuspüren.
Es wird gerne übersehen, wie radikal und wichtig dabei unsere
Mobilitätsgeschichte ist. Sie handelt nicht bloß von physischer
Raumüberwindung, sondern auch von geistiger Beweglichkeit.
Manchmal ist das wie ein sanfte Unruhe, sobald ich inspirierten Menschen
begegne, die ein Stück Geschichte tragen, das weit über ihre eigene
Biographie hinausreicht. Das kommt daher, wenn ich Stunden in so einer
Situation zubringe, um Fragen stellen zu können und Dinge zu sehen, die
der Alltag nicht bietet.
Eine merkwürdige Euphorie, die das
Denken erfaßt, fermer die Emotionen, damit körperlich wird, und dabei in
meinem Kopf diese weit größere Geschichte auffächert. Solche Stunden mit
Josef Laller im ehemaligen Gasthof an der alten Ungarnstraße, nun teils
Werkstatt und Verkaufslokal, aber auch noch viel nutzbarer Raum, der in
seinen kommenden Funktionen derzeit nicht festgelegt ist. Auf dem Weg dorthin befinden sich alte Meilensteine. Die
stammen zwar nicht aus der Antike, aber aus jener Zeit, als man diesen
Verkehrsweg für den Wiener Kongreß aufgebrezelt hatte, hergerichtet,
damit es für die Herrschaft in ihren Marterkästen etwas komfortabler
wird. Das Reisen in Kutschen war einst sehr anstrengend, eher
unkomfortabel.
Der Kongreß dauerte vom September 1814 bis zum
Juni 1815, um das Antlitz von Europa zu verändern. Ihm ging am 14.
Oktober 1809 der Friede von Schönbrunn voraus, eine Übereinkunft
zwischen Napoleon Bonaparte und Franz I. von Österreich.
Nach all
diesen Wirrnissen reiste dessen Bruder, Erzherzog Johann von Österreich,
1815 und 1816 mehrmals nach England, um sich dort technische
Innovationen zeigen zu lassen. Es heißt, Kanzler Metternich habe den
Steirischen Prinzen nicht sonderlich gut leiden mögen, konnte den
kaiserlichen Bruder aber naturgemäß nicht in den Graben fahren.
Johann hatte sich davor nützlich gemacht, um den Landsturm zu
konzipieren und zu organisieren. Ein wichtiger Schritt der geregelten
Volksbewaffnung, da es dem Kaiser an Geld für eine hinreichende
Profi-Armee fehlte, was Napoleon nicht gar so ungelegen kam.
Aber
der Reihe nach: Erzherzog Johann, der steirische Landsturm, die
Napoleonischen Kriege, der Frieden von Schönbrunn, der Wiener Kongreß
und die Ungarnstraße, schließlich Erzherzog Johann von Österreich bei
James Watt in England, während gerade die Dampfmaschinenmoderne begonnen
hatte, also die Erste Industrielle Revolution in Gang war.
So
kann es in meinem Kopf flackern, wenn ich an der alten Ungarnstraße
stehe, auf einem Terrain zwischen Sinabelkirchen und Ilz. Die
magyarische Hauptstadt Budapest wurde erst ab einer Neuordnung im Jahr
1873 so genannt. Sie trägt zwei Stadteile im Namen. Buda, das deutsch
einst Ofen genannt wurde, und Pest.
Die erwähnte
Ungarnstraße verband Graz mit Ofen. Schmeißen Sie zur Ansicht einmal „Graz“ und
„Ungarnstraße, 7503 Großpetersdorf“ in den Routenplaner von
Google (wahlweise gleich Graz und Budapest), so wird das gut
nachvollziehbar. Gleisdorf, Arnwiesen, Untergroßau, Sinabelkirchen,
Gnies. Dort war ich eben.
Das gesamte Anwesen des vormaligen
Gasthauses Weitzer läßt annehmen, daß hier schon vor langer Zeit eine
Labestation für Reisende bestanden hat. Die Nebengebäude sind auf eine
Art ausgeführt, daß ich vermuten darf, hier konnte man einst Wagen und
Pferde einstellen.
Der große Christophorus an der Hausfront macht
deutlich, daß man bei Weitzer auch nach dem Zweiten Weltkrieg Fuhrleute
gerne gesehen und bewirtet hat. Wenn also heute hier Werkstatt und
Zweiradhandel untergebracht sind, hat das seine inhaltlichen Bezüge.
Um so mehr, da im nahen Ilz einst der Radlmacher Janisch zu Hause
war. Über dessen hochkarätige Janisch-Radeln sagen Sammler, daß wohl
kaum mehr als zehn Fahrzeuge erhalten blieben.
Eines der seltenen Janisch-Räder von zirka 1910 sieht man
in dieser Notiz: [Link]
Dort, in Nestelberg, habe ich überdies ein längeres Gespräch mit
Siegfried Graf gehabt, dem Gründer von Graf Carello: [Link]
-- [Tesserakt]
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