11. Februar 2020
Er hat eine Ausstellung vor sich. Erstes Quartal des heurigen
Jahres? So ungefähr. Mathias Petermann gehört zur Generation
meines Sohnes. Folglich hat er völlig andere Zugänge als ich.
(Will ich hoffen!) Ich erwarte zwischen uns einen erheblichen
Kontrast. Alles andere fände ich beunruhigend. Wir reden
gelegentlich über das Leben und über die Kunst.
Ich bevorzuge Notizhefte, er ein dickes Notizbuch. Seine Kamera
ist Oberliga, meine ein Gerätchen für Momentaufnahmen. Ich hab
der Welt im Grunde nichts zu sagen. Er dürfte gerade begonnen
haben, seinen Platz in dieser Welt zu klären.
So paßt mir
das. Die Jungen sollen nach vorne und auf den Zeiger hauen. Sie
mögen herausfinden, wie sich das anfühlt, bevor jene
Zurichtungsmechanismen gegriffen haben, die einen gefügiger oder
wenigstens milder machen.
Ich könnte den Weg in die Kunst
mit ruhigem Gewissen niemandem empfehlen. Dort ist die Heuchelei
ziemlich hart, wenn jemand über die Latte selbstgewählter
Ansprüche nicht hinwegkommt. Von den Marktusancen rede ich gar
nicht. Und! Distinktion! Was für ein Thema!
Sehen Sie sich auf Vernissagen um. Welche Verkleidungen und
welche schillernden Manieren da in Gebrauch kommen, um die noble
Distanz zum Gewöhnlichen auszudrücken. Aber diese Sperenzchen
sind bloß Schmiere und Provinz. Was immer an maßgeblichen Leuten
in meinen Begegnungen vorgekommen sind, da hast du keinem von
weiten angesehen: Oh! Ein Künstler! Eine Künstlerin!
Meine Erfahrung besagt, Leute von Belang sind auf ihre Themen
und Aufgabenstellungen konzentriert, nicht auf irgendwelche
Wow-Effekte im Auftritt. Apropos! „Was meinst du eigentlich
mit Relevanz von Kunstwerken?“ fragte mich Petermann
diesmal. Also was?
Ich meine damit den Kontrast zum
Belanglosen. Kennen Sie diese müde Pose von Bildungsbürgern,
denen die Bildung abhanden gekommen ist? Da kommen dann Fragen
wie „Was will uns der Künstler sagen?“
Das schert mich doch einen Schmarren! Bei Kunstwerken von Belang
stelle ich mir nur in Ausnahmenfällen die Frage, welcher
Intention sie entsprungen sind. Das müßte schon sehr gute Gründe
haben. Ansonsten ist es ein Ereignis zwischen mir und dem Werk.
Mit Aspekten der Urheberschaft kann ich mich dabei nicht
befassen. Das würde mich bloß ablenken.
Wovon ablenken? Wahrnehmungserfahrungen. Die brauche ich so
dringend, wie ich auch Hunger und Durst stillen möchte, auf
Müdigkeit mit Schlaf reagieren will. Aisthesis ist das
griechische Wort für Wahrnehmungen. Also: ästhetische
Erfahrungen, die etwas in mir auslösen, auf die ich auch mit
Reflexion reagieren kann.
Wenn sich ein Kunstwerk dazu
eignet, halte ich es für relevant. Wenn es mir nichts bedeutet,
kann es eventuell für sich und in anderen Zusammenhängen
Relevanz haben. Dazu haben wir Kunstdiskurse, in denen solche
Fragen verhandelt werden. Die interessieren mich gelegentlich,
sonst aber auch gar nicht.
Blieben noch unzählige
Arbeiten, die einem im Alltag begegnen können, ich meine jetzt
speziell bildende Kunst, da kommen vor allem die
Unzulänglichkeiten zutage, mit denen jemand nicht an sich halten
kann, um Sichtbarkeit und Zuwendung zu erringen.
Das kann
an der Themenwahl liegen, denn manche Menschen drängen sich zwar
ins Kunstgeschehen, haben aber keine Themen. Das mag sich in
handwerklichen Mängeln äußern. Licht, Proportionen, anatomische
Details, was immer verwischt, abstrahiert, gebrochen wird, muß
ja vorher gekonnt werden. Sonst klappt das nicht.
Oder es reicht gerade für Arbeiten, wie ich sie schon
tausendfach gesehen habe, wobei meiner Wahrnehmung dann aus
Langeweile der Rolladen runterfällt. Manche Kreative könnten
vielleicht mehr als das, wollen aber gefällig sein, um sich die
erhoffte Zuwendung zu holen. Das ist legitim, führt auch
gelegentlich zu schönen Arbeiten. Kein Einwand! Aber es
interessiert mich nicht. (Wozu auch?)
Da fällt mir eine
Szene mit meinem Bruder ein, in der ich möglichst moderat
meinte: „Du hast es mir jetzt dreimal erzählt, ein viertes
Mal möchte ich es nicht mehr hören.“ Er reagierte wütend
und fuhr mich an: „Muß ich denn bei dir jetzt aufpassen, was
ich sage?“ Ja. Mußte er.
Wer nichts zu sagen hat,
soll meinetwegen tanzen, ein Liedchen pfeifen, eine Schüssel
Kartoffelsalat verzehren, was weiß ich, aber notfalls schweigen.
Schweigen ist ein nobler Zustand. Ich mag Stille sehr. Und es
ist mir allemal lieber, denn mit gefälligem Zeug oder reizlosen
Wiederholungen bespielt zu werden.
Die Relevanz eines
Werkes ergibt sich für mich also ganz wesentlich aus der
Qualität der Umsetzung, daß es mir folglich
Wahrnehmungserfahrungen anbietet, die Reflexionen ermöglichen.
Jenseits dieser subjektiven Zusammenhänge haben wir laufende
Diskurse, in denen verhandelt wird, was relevante Kunstwerke
seien und was nicht. Im Kielwasser solcher Kräftespiele sammle
ich Eindrücke, dank derer ich etwas auch als unerheblich oder
als Stümperei identifizieren kann.
-- [Was ist
Kunst?] --
|