22. Jänner 2020
Meine Küche als mythischer Ort
Es hat
mehrere Gründe, überaus verschiedene Gründe, weshalb ich mich in
letzter Zeit verstärkt an Küchenherde begeben hab, um meine
Möglichkeiten zu erweitern. Der zentrale Nutzen liegt natürlich
darin, über bisherigen Grenzen meiner Kochkenntnisse
hinauszukommen. Was mir an vertrauten Speisen gelingt, ein
überschaubares Repertoire, kann ich nicht mehr sehen, nicht mehr
schlucken.
Es braucht andere Speisen, um mich auf
kommenden Mittagszeiten wieder freuen zu können. Ein zweiter
Grund liegt in der eigentümlichen Geselligkeit, die entsteht, wo
Freunde bereit sind, mir beizubringen, was ich noch nicht kann.
Neue Ideen, neue Zutaten, neue Verfahrensweisen. (Und: ich hab
definitiv zu wenig Gewürze im Haus.)
Doch da ist noch ein
anderer, sehr tiefgreifender Grund. Der hat sich letztes Jahr
abgezeichnet, als ich mich wieder verstärkt mit der Antike und
unserer Vorgeschichte befaßt hab. Das verdichtet sich
augenblicklich in meinem Teilprojekt „Prometheus in Ketten“.
Der Titan Prometheus entstammt einem alten Göttergeschlecht.
Im Gegensatz zu anderem Himmelsvolk hat er sich als
Menschenfreund erwiesen, als Lehrmeister, vor allem aber: er hat
gegen den Willen des wütenden Zeus das Feuer auf die Erde
zurückgebracht.
Zur Strafe befahl der Göttervater, den
Unsterblichen für alle Zukunft anzuketten. Diesen Job erledigte
(widerwillig) der mythische Schmied Hephaistos. Die Nutzung des
Feuers in der Metallurgie hat unsere Geschichte fundamental
verändert. Das vollzog sich übrigens vor mindestens zehntausend
Jahren.
Das Schmieden und Gießen hat durch alle Zeiten
seine Helden. Es wurde möglich, weil Menschen lernten, das Feuer
zu zähmen und schließlich zu beherrschen. Damit meine ich den
kontrollierten Einsatz von Hitze. Wie etwa tönerne Töpfe und
Vasen Kinder des Feuers sind, bei denen je nach Machart und
Verwendungszweck unterschiedliche Hitzegrade nötig sind, so gilt
das auch für Metalle. Glas ist ein besonderes Produkt, das wir
ohne Feuer nicht hätten.
Aber es waren natürlich nicht
die Töpfer, Schmiede, Gießer und Konsorten, denen Prometheus die
Fackel übergab. An den Lagerfeuern und Kochstellen, an den
Herden lernten die Menschen, Flammen zu beherrschen. Längst
bevor großartige Handwerker - Funken schlagend - ihren Ruhm
schmiedeten, veränderten sich die Menschen in ihren
grundlegenden Möglichkeiten, weil das Grillen, Kochen, Garen und
Räuchern die Nahrung vollkommen verwandelt haben.
Eine
populäre These besagt, daß dadurch eine Art des Fleischkonsums
möglich wurde, die auf das menschliche Gehirne radikal
verändernd wirkte. Dieser Aspekte sollte klar machen, welches
Genre weit älter ist, als jene beeindruckenden Handwerkskünste,
die uns seit Jahrtausenden Stoffe für große Gesten liefern.
Wo hat also unsere Mythologie jene Göttinnen und Götter der
Feuerstellen und der Kochplätze, die es gegeben haben muß,
archiviert? Wo sind die Heldentaten notiert, die unsere Spezies
aus den Küchen heraus überhaupt erst befähigt haben, andere
Qualitäten zu entwickeln?
Wenn ich also dieser Tage öfter
mehr Zeit für das Kochen reserviere, dient das nicht nur
tagesaktuellen Wohltaten, sondern nützt mir auch beim Nachdenken
über einige jüngere Lücken in unseren Heldengeschichten, in den
Narrativen unserer Kultur.
[Eine
Facebook-Notiz zu „Prometheus
in Ketten“]
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