16. Dezember 2019

kunst als schlachtplatte

ist ihnen der name daedalus geläufig? richtig! der vater des ikarus. er galt als einfallsreicher tüftler und vorzüglicher handwerker. das labyrinth auf kreta, in das der minotaurus weggesperrt wurde, ist vermutlich seine populärste arbeit.

daedalus war vor allem auch ein bedeutender künstler seiner zeit, speziell für hervorragenden statuen bekannt. und er wa ein mieser charakter. als ihm seine schwester ihren sohn perdix zur ausbildung anvertraute, erkannte er bald das große talent seines neffen.

in wachsender eifersucht nahm er sich vor, das kind zu ermorden. er stieß den buben, als sie die akropolis besuchten, hinterrücks vom berg. perdix überlebte das attentat bloß, weil die göttin minerva ihn unterm fallen in ein rebhuhn verwandelte.

sagt ihnen der name cesare borgia etwas? dieser italienische fürst des 15. jahrhunderts gilt als inbegriff des grausamen und völlig skrupellosen machtmenschen, dem nur sein eigener vorteil ein anliegen war. er war überdies ein begeisterter liebhaber der künste, war hochkarätiger kenner, experte, wurde in kunstfragen gerne als ratgeber konsultiert.

als borgia starb, war benvenuto cellini gerade erst ein kind, das zu einem der bedeutendsten künstler der renaissance heranwuchs. ein reizbarer kerl, berüchtigter raufbold und mehrfacher mörder.

so ließe sich die kunstgeschichte entlang von schandtaten weiter erzählen. ganz davon zu schweigen, wie viel blut geflossen ist, um jene mittel anzuhäufen, mit denen über jahrhunderte hinweg wesentliche künstlerische arbeit bezahlt wurde. das reicht bis in die gegenwart, da bedeutende sammler ihre mittel nicht immer mit werken der nächstenliebe erwirtschaften ;-)

erlauben sie mir also den hinweis, daß es keinen „naturgegebenen“ zusammenhang zwischen kunst und ethos gibt. moralische urteile sind keine kunsturteile.

als künstler muß ich darauf bestehen, daß keine art von denkverbot annehmbar ist, daß es „die gewissen grenzen“ nicht gibt, daß kunst alles darf und nichts muß. (ich wundere mich, daß dieser aspekt derzeit nicht wenigstens vom kunstfeld her ausreichend energisch verteidigt wird.)

was in dem zusammenhang an menschlichem handeln erfahrbar ist, steht dann sehr wohl zur debatte. anders ausgedrückt: wer in seinem tun gegen konventionen verstößt, wird das mit den menschen in seiner umgebung verhandeln müssen. das ist aber nichts spezifisches an kunstschaffenden, sondern betrifft jeden menschen, der in gemeinschaft lebt.

in den letzten wochen, seit peter handke den literaturnobelpreis erhielt, fiel mir allerhand moraltrompeterei auf. was mag jemanden bewegen, uns etwa via social media wissen zu lassen, daß er sich wegen handke „fremdschämen“ müsse?

es ist das grundmuster der selbstdefinition durch feindmarkierung: „seht her, ich bin nicht so wie der ist!“ das heißt auch, jemanden durch zuschreibungen für die eigenen zwecke zu benutzen. das ist besonders delikat, wenn es jemand betreibt, der sich selbst auf dem kunstfeld laufend um einen gewinn an sichtbarkeit und sozialprestige bemüht.

vielleicht ist das eine ganz banale seite der conditio humana, sich erregt über andere zu erheben, um sich selbst aufzuwerten. fragen der kunst berührt das überhaupt nicht.

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