10.
September 2019
Wir haben eine Mediensituation,
die uns eine völlig überfordernde Gleichzeitigkeit der
ankommenden Eindrücke aufbürdet. Wir leben in einer
Info-Sphäre, die mit Informationen vollgeräumt ist wie eine
alte Messie-Wohnung.
Das Problem könnte über
Maschinenstürmerei nicht gelindert werden. Seit den
Weberaufständen Schlesiens in der Mitte des 19. Jahrhunderts
hat Europa diese Erfahrung mehrfach gemacht. Technologie
wird forciert, egal, was passiert. Wir müssen in diesem Fall
an unseren Medienkompetenzen arbeiten.
Ein bewährtes
Hausmittel: Erregung zügeln. Abregen statt aufregen. Manche
Kontroverse wäre erträglicher und eventuell zielführender,
wenn wir die Unterscheidung von Argumenten a) zur Sache und
b) zur Person etwas verläßlicher schaffen wollten.
Realität
ist Konstruktion. Ein Deutungsgeschäft, das von
Deutungseliten dominiert wird, die um Deutungshoheiten
kämpfen. Gesellschaftliche Realität wird unter anderem durch
Medienanwendung hergestellt.
Wir befinden uns mitten in der
Vierten Industriellen Revolution. Die wuchtet uns neue
Fragen zum Herstellen von Realität vor die Füße. Ein
aktueller politischer Streitfall macht das sehr anschaulich.
+) Ein
Whistleblower stiehlt der ÖVP Dokumente und spielt sie dem
Magazin Falter zu.
+) Die Falter-Crew prüft
nicht nur inhaltlich, sondern ordert auch eine
datenforensische Untersuchung.
+) Es gilt zu klären, ob die
elektronischen Dokumente unverfälscht sind und daher ihre
Inhalte stichhaltig.
+) Die Redaktion bewertet das
Material als authentisch und publiziert Inhaltliches.
+) ÖVP-Generalsekretär Karl
Nehammer via OTS: „Wir können nicht beurteilen, ob der
Falter bewusst falsche Behauptungen aufgestellt hat, oder
man verfälschten oder gefälschten Unterlagen aufgesessen
ist.“ [Quelle]
+) Die ÖVP kontert mit Berichten,
daß es einen Hacker-Angriff auf ihre Server gegeben habe,
daß Dokumente gestohlen, aber auch verfälscht worden seien.
+) Das bedeutet, die ÖVP macht
geltend, was immer man seitens Falter der Partei
vorzuwerfen wünsche, beruhe auf gefälschten Dokumenten.
+) Kurz gesagt, die ÖVP stellt die
Beweiskraft des Materials, auf das sich der Falter
stützt, in Frage.
Heute ist der 10. September 2019, am 29. September 2019 wird
gewählt. Es ist also vermutlich ausgeschlossen, bis dahin zu
klären und breit zu publizieren, was nun tatsächlich der
Fall war. Derweil liegen bloß Indizien auf dem Tisch, von
denen wir nicht wissen können, was sie als Beweise taugen.
Moment!
Bei der ÖVP müßte man ja wissen, was zutrifft und wie sich
die Faktenlage zum Falter-Material verhält. Nun hat
OE24 berichtet: „Die ÖVP übermittelte der APA ein
zehnseitiges Papier, in dem entsprechende
Original-Rechnungen und Saldenlisten im Faksimile einzusehen
sind.“ [Quelle]
Dazu etwas
konkreter: „In einem zehnseitigen Dokument, das unter
anderem an den STANDARD geschickt wurde, greift die
Volkspartei die ‚prominentesten‘ Beispiele des Artikels
heraus und liefert Screenshots von Rechnungen und ihrer
Buchhaltung, die zeigen sollen, dass Summen korrekt verbucht
wurden. Andere Punkte bleiben unwiderlegt.“ [Quelle]
Nun kann
ich als Leser unmöglich beurteilen, wie eine diesbezügliche
Geschäftsgebarung der ÖVP zu bewerten ist. Ich kann mir nur
einen Eindruck verschaffen, wie die ÖVP in mediengenerierter
Öffentlichkeit mit dem Fall umgeht.
-- [Ein
Feuilleton] --
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