9. September 2019

Ich erinnere mich sehr gut, daß ich die für Teenager üblichen Kontroversen hatte und dabei war es üblich, daß die Mutter mit markant anderen Strategien reagierte als der Vater. Aber es boomte ein Standard-Statement: „So lange du deine Füße unter meinem Tisch hast…“

Das betraf oft fast nebensächliche Aspekte. Es konnte vorkommen, daß ich den Frühstückstisch verlassen mußte, um mich zu kämmen, und erst dann wieder geduldet wurde. Oder es wurde sanktioniert, wenn ich den Löffel schon in den Kaffee getaucht hatte, aber damit erneut in die Zuckerdose fuhr.

Das war eine Ära, in der sich meine Leute das Zuschlagen schon abgewöhnt hatten. Aus gutem Grund, wie ich heute denke, denn die Natur hat mir einige Geschenke gemacht, dank derer ich ab einem gewissen Zeitpunkt nie mehr Prügel bezog.

Um an diesen Punkt zu kommen, war ich gar nicht primär von der Vorstellung geleitet, ich könne ja auch zu-, beziehungsweise zurückschlagen. Ich hatte eher drauf gesetzt, meinen Verstand quasi waffentauglich zu machen. Und emotional ist man sowieso merkwürdig drauf, wenn man allerhand Übergriffe nicht abwenden konnte.

All das hat mich keineswegs zum Pazifisten gemacht. Ich hab dazu keinerlei moralisches Konzept, bin aber auf pragmatische Art überzeugt, daß uns allen Gewaltverzicht gelingen muß, um die Stabilität des Gemeinwesens zu sichern. Das ist eine unverzichtbare Bedingung, um auch dem eigene Wohlbefinden zu dienen.

Individuelle Erfahrungen zeigten mir, was überdies die Geschichtsbetrachtung deutlich macht: wer einen Krieg der Worte für akzeptabel hält, legt die Fundamente für Gewalttaten. Je nach Rahmenbedingungen und Strukturen führt das irgendwann dazu, daß Menschen unter der Verachtung anderer einknicken oder daß Hälse durchgeschnitten werden. Kommt es zu Kampfhandlungen, bleibt ja bloß noch: abschrecken oder entwaffnen. Für beide Varianten ist erhebliche Gewaltbereitschaft nötig, egal, welche Dimension der Konflikt hat.

Wir sollten bessere Strategien haben, um Differenzen in einer pluralistischen Gesellschaft zu bearbeiten. Vor dem Hintergrund so simpler Klarheiten, die heute niemandem schwer fallen sollten, finde ich es zum Schreien komisch, wie sich beispielsweise der ÖVP-Klubchef August Wöginger (Jahrgang 1974) im aktuellen Wahlkampf ereifert hat, daß er wie folgt zu zitieren ist:

„Wer in unserem Hause schlaft und isst, hat auch die Volkspartei zu wählen.“ Deshalb beteuert der Vater von drei Kindern, daß er
"dafür sorgen wird, dass unsere Kinder, wenn sie in Wien studieren, nicht mehr die Grünen wählen – sondern die ÖVP“. [Quelle]


Es wird sich weisen, welche Erfahrungen ihm seine Kinder bescheren. Als Vater lächle ich bloß und wünsche „Viel Glück, gut Holz und gute Reise!“ Ich bestaune vorerst noch diese bescheidene intellektuelle Leistung, wonach es ein Vorteil wäre, daß man seine Leute in diesem Stil „politisiert“. So ein völliger Mangel an Zukunftsfähigkeit in derart interessanten Zeiten irritiert.


Ich hatte gestern eine kleine Meinungsverschiedenheit mit einem Mann, den man gewiß der ÖVP zurechnen darf. Ich schrieb ihm an einer Stelle:
>>drehen wir es amal um, hm? schick mir doch einen link zu einem text/interview von einer österreichischen politgröße, wozu ein gebildeter mensch sagen würde: "respekt! das ist gscheit und anregend."<<

Die Antwort: „keine leichte Aufgabe“. (Es kam bis jetzt kein Link.) Damit möchte ich sagen, daß uns der aktuelle Wahlkampf querbeet einen beunruhigenden Mangel an intellektueller Selbstachtung offenbart. Dabei punktet augenblicklich nicht nur die ÖVP auf einer nach unten offenen Skala.

Die FPÖ steuerte eben eine absolute Spitzenleistung bei. Wiens Stadträtin Ursula Stenzel wurde dieser Tage bei einer Kundgebung der rechtsextremen Identitären gesehen, hielt da auch eine Rede. Es hagelte Kritik.

Stenzel äußerte ich dazu via APA OTS (OTS0016 5 II 0118 NFW0001 CI. So, 08.Sep 2019, Wien/FPÖ/Stenzel/Stellungnahme): „Dass auch Vertreter der Identitären Bewegung anwesend gewesen sein sollen, war mir nicht bewusst. Hätte ich davon Kenntnis erlangt, hätte ich diese Veranstaltung selbstverständlich nicht besucht.“

-- [Ein Feuilleton] --

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