11. August 2019

Stets ergeben sich Verläufe, die einen gelegentlich an Klippen kommen lassen. Oder Riffe. Hinunterstürzen, wahlweise dagegenknallen. Beide Optionen liefern einem diese Art Erschütterung, in der sich Sedimente lockern und der Schutt hinterher - im günstigsten Fall - abgeschüttelt werden kann.

Das gehört schließlich zu Wesen von Schutt: geschüttelt zu werden. So hab ich derzeit etliche Gespräche geführt, die mir bei der Orientierung helfen, wo denn momentan interessante Bruchlinien verlaufen. Es scheint mir so deutlich wie lange nicht mehr, daß sich gesamtgesellschaftliche Zustände in persönlichen Verfassungen äußern.

Das war vor wenigstens 20 Jahren schon absehbar und erfahrbar. Vor allem dort, wo diese Gesellschaft in aktuellen Umbrüchen problematische Eigenheiten zeigt, wird genau das umgedeutet. Es tauchen gesellschaftlche Defizite plötzlich als ein angeblich persönliches Versagen auf, als ein individueller Makel.

Ich hab einige Zeit lang nicht recht verstanden, was sich da ereignet. Inzwischen scheint es klar zu sein. Dieses Umkumpfern von Zusammenhängen drückt eine Absetzbewegung aus. Jene, die es schaffen (oder grade noch schaffen), in aktuellen Kräftespielen voranzukommen, setzen sich von denen ab, die derzeit unterzugehen drohen oder schon gestrandet sind.

Das muß freilich durch Schönfärberei dekoriert werden, weil es mindestens in meinem Milieu einer Reihe von erklärten Prinzipien widerspricht, die offiziell nie aufgehoben wurden.

Zum Beispiel: offiziell haben wir den Mut zur Lücke, stellen uns gegen permanente Beschleunigung, dürfen wir auch scheitern, weil wir uns einig sind, daß einzelne Vorhaben wie auch das Leben selbst ergebnisoffen bleiben müssen.

Darum sind wir für Antwortvielfalt. Wir verachten paternalistisches Verhalten, bekennen uns demonstrativ zu allerhand Werten und wissen, daß unsere Welt zum Beispiel daran krankt, daß Geld Geld verdient und daß Menschen dafür berühmt sind berühmt zu sein.

Die erlebbare Realität sieht freilich ganz anders aus. Und zwar vor dem Hintergrund aktueller Klarheiten, auf welche raffinierten Weisen sich die Ökonomisierung unserer persönlichen Beziehungen als breites soziokulturelles Phänomen etabliert hat. Der Kernsatz solcher Entwicklungen lautet: „Da geht noch was!“

Das heißt, was immer greifbar ist, wird nicht genügen. Es sollte etwas mehr herauszuholen sein. Dabei müßte etwas höher gesprungen werden können. Ich stelle das ganz unaufgeregt fest, nahezu erleichtert, daß mir dieser Mechanismus endlich klarer geworden ist.

Ich hatte in den letzten Jahren sehenden Auges übersehen, wie effizient dieser Effekt unser Leben infiltriert, durchwirkt hat. Damit ist ein altes Paradigma gefallen, das etwa besagt: Glücklich ist, wer weiß, was für ihn oder sie genug ist. Eine heute etwas kindlich wirkende Idee von der Selbstbeschränkung, auf daß man nicht einfach jenen Tisch voller guter Dinge, an dem auch noch andere sitzen, komplett abräumt, alles für sich nimmt.

Ich zweifle, ob in diesem Abschnitt Appelle etwas bewirken können. Mir scheint eher, daß wir nun den Erfahrungen ausgeliefert sind, aus denen vielleicht ein nächstes ethisches Konzept entsteht, auf das sich genug Menschen verpflichten mögen. Oder wir gehen noch tiefer in eine soziale Eiszeit hinein, in der manche überwintern und andere untergehen werden. (Ich kann es nicht einschätzen.)

Währenddessen trete ich zur Seite, um den Effizienten, den Hastenden, den Aufstrebenden nicht im Weg zu stehen. Ich lese viel und führe allerhand Gespräche, unter denen manche etwa so verlaufen:

„In meiner Werkstatt schaut es zur Zeit halt ziemlich lebhaft aus.“
„Hahaa! Du solltest meine Wohnung sehen.“
„Hehe. Davon red ich gar nicht. Dagegen ist die Werkstatt eine Ausgeburt an Ordnung.“
„Gründen wir jetzt lieber einen exklusiven Club oder eine Selbsthilfegruppe?“
„Einen Club! Ich sehe nicht, daß wir der Hilfe bedürften.“
„Man darf dazu halt keine Frau befragen.“
„Die halten sich grad fern von mir.“
„Kenn ich. Ich seh schon, wir gründen Club!“
;-)

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