Ich habe mich vor Jahren schon einmal augenzwinkernd
selbst gefragt: Hatte ich bereits eine Karriere? Was hat
man, wenn man eine Karriere hat? Freilich hab ich eine. Es ist das
französische Wort für Laufbahn.
Wenn aber jemand Karriere gemacht hat, wird das bloß erwähnt, falls
es eine Spitzenlaufbahn ist. Deshalb gibt es ja auch eine
Karriereleiter, die jemand erklimmen kann.
Oktober 2003: Mit Josef Schützenhöfer in Pöllau
Vor diesem Hintergrund hat sich
in meinem Milieu die Bohème erledigt. Das Antibürgerliche als ein
auffallendes Element im künstlerischen Dasein ist aufs Altenteil
gerückt. Zwei markante oststeirische Positionen sind dabei derzeit
noch vom Maler Josef Schützenhöfer und vom Graphic Novelist Chris
Scheuer besetzt.
Das häufigere Rollenmodell
verkörpert Richard Frankenberger, der bei allem erkennbaren Talent
vor allem Lehrer geblieben ist, ein Typ Lehrer, der sich in endlos
langen Reden Raum nimmt. Die Region bietet auch kuriose Wesen einer
kategorialen Zwischenwelt. So besteht etwa der Handwerker Richard
Ludersdorfer darauf, ein Künstler zu sein, was sich freilich nur in
einem kleinbürgerlichen Milieu durchsetzen läßt, wo sein
esoterisches Gepränge kein weiteres Erstaunen auslöst, wo seine
Eifer im Epigonalen als Originalität verstanden wird.
Faktisch bleibt unterm Strich
die Attitüde nachrangig. Es zählt die Qualität der Arbeit. Das
trennt Spreu vom Weizen. Im regionalen Kulturbetrieb dominieren
derzeit die Kunstsimulationen, jene rührenden symbolischen Akte, die
einen legitim vorgebrachten Abstand zum Zweckrationalen ausdrücken,
zur Alltagsbewältigung. Aber es ist dann vielfach der Mangel an
qualitativ relevanten Arbeiten, der diese Positionen als Positionen
der Kunst schwächt bis löscht.
Was alle diese Vorkommnisse
verbindet, ist ein völliges Fehlen kritischer Debatten. Dazu bringt
schrulliges Benehmen, bunte Verhaltensoriginalität, ein materiell
bescheidenes Leben keinerlei Bonus. Ich sehe das zwar in den Reihen
unserer Kinder anders vertreten, aber in meiner Generation hat sich
ein kurioser Katalog dessen durchgesetzt was man heute bürgerliche
Tugenden nennen könnte, genauer: kleinbürgerlicher Tugenden. Zum
Beispiel:
Sei nicht ohne gute Position!
Sei nicht ohne gesicherte Freizeit!
Sei nicht erschöpft!
Sei nicht pleite!
Sei nicht unaufgeräumt!
Sei nicht schlecht gekleidet!
Sei nicht ohne Auto!
Sei nicht zimperlich!
Sei nicht abgebrüht!
Sei nicht anmaßend!
Sei nicht ignorant!
Sei nicht unverblümt!
Die vorherrschenden sozialen
Paradigmen unserer Verhältnisse sind mir klar. Die kulturpolitischen
Paradigmen werden wohl evident sein, aber ich kann sie momentan noch
nicht entschlüsseln. Ich möchte aber für alle Fälle vermuten,
Autonomie sei derzeit ein gefährdetes Kulturgut. Sie zählt zu den
symbolischen Gütern menschlicher Gemeinschaft; dieser Traum, sich
seine Regeln selbst zu geben. Ich muß annehmen, dieses Gut sei ein
Echo, eine gedankliche Konsequenz, wenn man etwa den Überlegungen
von Immanuel Kant folgt, daß es ja möglich wäre, sich seines
Verstandes ohne Anleitung durch andere zu bedienen.
Ich hätte natürlich nicht für
möglich gehalten und hab daher nicht kommen gesehen, daß jenes
„Sapere aude“ zur Makulatur werden könnte oder wenigstes zu
einem Artefakt fürs Museum. (Kant, in die Tonne getreten.)
So bestätigt sich, was mir eine einst gute Freundin
geflüstert hat, indem sie feindselig wurde: Ich sei zu einem
antiquierten Wesen geworden.
Ich stimme dieser Einschätzung
zu, kann aber vorerst nicht finden, was daran anrüchig sei. Im
Gegenzug bleibt mir schleierhaft, worin genau eine derzeitige
„Modernität“ bestünde und woran man diese erkennen könnte.
(Vielleicht reicht dazu Abschätzigkeit, um einen Unterschied zu
machen.)
Ich muß das mit Matthias
Marschik noch ein wenig ausloten, da er meint, Leute wie wir würden
als Negativfolie gebraucht werden. Geht es nun bloß darum, noch zu
wissen, was der Begriff Dialektik meint? Das hatte mir nämlich Franz
Wolfmayr vor einer Weile in Erinnerung gerufen. Wir hätten uns davon
verabschiedet, eine Ahnung von Dialektik zu haben sowie eine
gelingende Praxis in der Befassung mit Gegensätzen.
Ich hänge in all dem grade
einer alten Marotte nach. Als mich 1992 der Salzburger LKW-Fahrer
von meinem Motorrad geholt hatte und ich einen Gang durch die
Unterwelt absolvieren mußte, war mir hinterher daran gelegen, bis in
Details zu erkunden, was mit mir auf dieser abwegigen Strecke
geschehen war. Eine penible Recherche half mir, den Schrecken zu
bannen.
Genau danach ist mir nun auch
in diesem weitreichenden Umbruch, in diesem
Splittern und Brechen unserer
Verhältnisse; nach einer peniblen Recherche, was es mit mir, was es
mit uns gemacht hat, um den Schrecken zu bannen.