31. Mai 2019

ikarus reloaded

wie viele meiner texte habe ich schon vergessen, mehr noch, weggeworfen. ich kann mich nicht über jahre hinweg mit alten arbeiten beschäftigen. meine auffassungsgabe reicht kaum aus, jenes neuland zu erkunden, das mich laufend neugierig macht.

durch meinen system-crash im mai 2019 war ich gezwungen, meine datenbestände und diverse sicherungskopien durchzusehen. was ist zu retten? was kann geborgen und was soll erhalten werden? was darf entfallen?

ALLES wird entfallen! so viel ist klar. meine ältesten datenbestände befinden sich auf 3 zoll-disketten, die für das betriebssystem CP/M formatiert wurden. natürlich habe ich längst kein gerät mehr, mit dem ich diese daten lesen könnte. ich bin nicht einmal mehr für DOS-daten auf 5,25 zoll-disketten gerüstet. (immerhin habe ich noch einen ZIP-drive, mit dem sich die einst muskulösen 100 MB-disketten lesen lassen.)

hinzu kommt, daß meine ganzen CD-stapel durch ihre materialbeschaffenheit richtung unlesbarkeit verrotten. das ist nicht zu ändern. außerdem höre ich von profis, das PDF-format werde als standard auslaufen. bleiben vermulich nur noch clouds, um datenträger in meinem privatbesitz abzulösen. das liegt dann völlig außerhalb meiner kontrolle.

weshalb soll ich mir daher über die haltbarkeit meines werkes den kopf zerbrechen? das erscheint mir aus emotionalen und aus technischen gründen müßig. ich könnte es natürlich weitgehend in bücher packen, die derzeit langfristig vermutlich stabilsten datenträger. (aber ganz unter uns, ich wüßte nicht zu sagen, wie viel stück wald umzulegen mein werk wert wäre.) ich will mich mit dieser frage auch nicht herumschlagen.

ABER! derzeit habe ich noch sehr amüsante momente, wenn ich über alte stoffe stolpere. so fand ich beim bergen von daten eine datei vom 12.6.1997: OIDIP.RTF. Sie enthält einen text mit dem titel „Oidipus fliegt“. das ding hat schlanke sieben seiten und ist so unterschrieben: „Martin Krusche, Jahrgang 56, ist Sekretät und Mitarbeiter der ARGE Region Kultur, lebt in Nitscha bei Gleisdorf, beschäftigt sich mit Virtual Trash.“

da war also bereits absehbar, daß ich mich mit der ewigkeit nicht befassen möchte. schwank am rande: die gemeinde nitscha gibt es heute nicht mehr. sie ist in der stadt gleisdorf aufgegangen.

der text enthält ein post scriptum, in dem quellen genannt werden. dieser nachsatz gefällt mir heute besser als der eigentliche text. er lautet:

Zu beachten: Die meisten kursiv gesetzten Passagen sind Zitate. Aus Texten von Günther Anders (toter Philosoph), Richard Walter Darré (Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft, Reichsbauernführer), Hermann Glaser (Schul- und Kulturdezernent), Adolf Hitler (Arbeitsloser), Frank-Albert Jllg (Motorjournalist), Ernst Jünger (Liebhaber von Käfern), Norman Mailer (Norman Mailer), Platon (Schreibkraft des Sokrates), Alfred Rosenberg (NS-Chef-Orakel), F. M. von Senger und Etterlin (den britischen und amerikanischen Behörden dankbarer Verfasser eines Buches über "Die deutschen Panzer 1926-1945"), Sophokles (Bühnenautor), Klaus Theweleit (der froh war, nicht im Hause Suhrkamp veröffentlichen zu müssen).“

Eine Facebook-Notiz

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