9. Mai 2019 Wenn ich
meinen gestrigen Eintrag mit den Worten Tempo,
Distanz und Härte eingeleitet hab, dann hatte das einiges mit dem 8. Mai zu tun. Es
ist der Tag, an dem sich bei uns vor über siebzig Jahren der Faschismus geschlagen geben
mußte. Am 8. Mai 1945 trat die bedingungslose Kapitulation der Nazi-Armee in Kraft. Was
paßt zu diesem Thema?
Der heutige Zustand Österreichs läßt sich momentan auch
daran ablesen, daß Andreas Gabalier, ein Produkt der Unterhaltungsindustrie, mit
denkwürdigen Worten quittierte, daß die SPÖ in Graz bei einer Parteiveranstaltung
untersagt hatte, seine Lieder zu spielen. Gabalier nannte den Vorgang "Zensur und
Faschismus in reinster Form". [Quelle]
Diesen Ausdruck völliger Besinnungslosigkeit des
erfolgreichen Entertainers wurde dadurch scharf konturiert, daß Österreichs
Bundeskanzler dessen Persiflage der Bodenständigkeit öffentlich mit dem Thema Kunst
assoziierte, so als könnte man Gabalier in solchen Kategorien, nämlich jenen der Kunst,
diskutieren: "Lassen wir die Kunst sowie die Künstlerinnen und Künstler frei
arbeiten", schreibt Kurz auf seinem Facebook-Profil. [Quelle]
So geht also Faschismus? Na, bravo! Das sitzt! In den
genannten Kreisen besteht offenbar auch keine sachlich halbwegs fundierte Vorstellung, was
Zensur ist. Jene Ereignisse am Vorabend des 8. Mai machen unübersehbar, daß die
breiteren Debatten in Fragen der Zeitgeschichte, der Kunst und Kultur bei uns stellenweise
von erstaunlichen Fehlleistungen geprägt sind.
Da wäre diese rotzfreche Kühnheit, sich durch angeblich
"Zensur und Faschismus" in eine quasi Opferrolle zu reklamieren, weil man mit
seinen auf flach und simpel gebürsteten Musikprodukten in einer lokalen, politisch
angelegten Geselligkeit nicht vorkommen darf. Das drückt einen Zynismus aus, den zu
erfassen Gabalier vermutlich gar nicht in der Lage ist.
Über unseres Kanzlers Kunstverständnis läßt sich
derzeit kein Essay verfassen, denn offenkundig hat er keines. Wer Surrogate für
das Eigentliche hält, also etwa Gabaliers Darbietungen für einen Ausdruck von
Kunst, bringt mich mit der Tatsache in Verlegenheit, daß dieser Politiker eine erklärte
Kulturnation vertritt, ohne ihr anscheinend in diesem Punkt gewachsen zu sein.
Was nun die Kunst sei und was Massenprodukte aus der
Unterhaltungsindustrie sind, sollte ein Staatsoberhaupt wenigstens in Grundzügen
unterscheiden können. Prominenten Exponenten unserer Regierung gelingt das anscheinend.
Man muß darin ja nicht gleich in der Liga von Cesare Borgia ankommen. Der
Renaissancefürst war einerseits Machtpolitiker von furchterregender Dimension, aber
andrerseits ein hochkarätiger Kunstkenner, dessen Urteil seinerzeit weithin nachgefragt
wurde.
Und Gabalier? Ich kenne keinen seriösen
Volksmusik-Diskurs, der sich mit den Gabalier-Liedern interessiert befassen könnte.
Beachtet man Gabaliers Dresscode in diversen Varianten, dürfte der Mann wunderbar in ein
Programm von Thomas Spitzer passen. Bloß daß diese Programme der Ersten Allgemeinen
Verunsicherung als beißende Satire angelegt sind und genau sowas möchte ich bei
Gabaliers Outfits eigentlich annehmen; aber er scheint das eher ernst zu meinen.
Gabaliers Anspruch auf Rock & Roll-Meriten erledigt
sich praktisch von selbst, wenn man einen simplen Vergleich anstellt, der ganz ohne
Fachdiskurs auskommt. Hauen Sie einfach nacheinander zwei Zeilen in das Suchfeld von
Youtube. Vergleichen Sie die Ergebnisse musikalisch und textlich:
1) Andreas Gabalier - Hulapalu
2) Little Richard - Tutti Frutti
Für beides muß man, um es zu verstehen, nicht Philosophie
studiert haben. Die Songs bieten in den Klängen und Codes einen leicht nachvollziehbaren
Eindruck, was Rock & Roll von einer Rock & Roll-Simulation unterscheidet.
Ich hab übrigens keinen Einwand gegen Katzensilber. Menschen sollen sich nach
ihrem Geschmack vergnügen. Wer sich etwa in "I sing a Liad für Di"
wiederfindet, möge sein Glück genießen.
Wir haben nun also rund um den 8. Mai, der uns an die
1945er Niederlage des Faschismus denken lassen könnte, eine kuriose öffentliche Debatte.
Dabei läßt einer der augenblicklich sicher populärsten Österreicher, Andreas Gabalier,
die Welt wissen, daß man sich jederzeit via Massenmedien ruhig über Faschismus
verbreiten kann, auch und vor allem wenn man davon absolut keine Ahnung hat. Dazu kommt
ein Bundeskanzler, der diese Kausa, wie auch die Arbeit von Gabalier, für einen Ausdruck
österreichischen Kunstschaffens hält und das öffentlich mit dem Begriff Kunst
assoziiert.
Ferner hat uns nun der Vizekanzler schon einige Zeit auf
das angeblich wachsende Problem eines "Bevölkerungsaustausches"
aufmerksam machen wollen. Das heißt, er denkt in den Kategorien eines Stammeshäuptlings,
welcher die Welt nicht zu kennen braucht, solange sein Stamm gedeiht: "Vizekanzler
Heinz-Christian Strache (FPÖ) will die Kritik am Wort 'Bevölkerungsaustausch' nicht
gelten lassen." [Quelle]
Es ist ja nicht so, daß ich nun um Fassung ringen müßte.
Die Neue Rechte hat sich in Europa seit den 1980er Jahren recht ungestört
entwickeln und entfalten können. Das dürfen sich heute auch all jene anrechnen, die das
Jahrzehnte lang nicht ernst genommen oder sogar nicht einmal bemerkt haben. Nun beschert
uns dieser Status quo einige interessante kultur- und bildungspolitische Aufgaben.
Weiterführend empfehle ich: "Der Jodelmensch" (Über das Industrieprodukt Andreas
Gabalier)
-- [Tesserakt] --
Die Fotos stammen aus der Ausstellung
"POP 19002000. Populäre Musik in der Steiermark"
(Museum für Geschichte, Graz),
die ich gestern mit Musiker Jimy Cogan besucht hab. |