28. März 2019 Posen.
Mein Faible für Hephaistos, den mythischen Schmied, wurzelt ganz wesentlich
darin, daß er offenbar ohne besondere Eitelkeit war und sich vorzugsweise den Aufgaben
widmete, die er fand, ohne das nach außen zu feiern. Damit ist er uns eine
Projektionsfläche für ethische Konzepte. Hephaistos hatte es offenbar auf das angelegt,
was mit einem etwas antiquierten Begriff Werkstolz genannt wird. Diese Art des
Stolzes bezieht sich -- bei ostentativer Zurückhaltung der Person -- aus gelungener
Anstrengung: Eine Arbeit um ihrer selbst Willen gut machen wollen.
Das ist auch eine Option für Kunstpraxis. Etwas zu
erarbeiten, so gut es einem gelingen kann. In diesem Aspekt ist jede Hierarchie
nachrangig. Es zählt die Anstrengung. Für andere zählt freilich nur das Ergebnis.
Selbstverständlich finden wir in jedem Genre Werke, die qualitativ das überragen, wozu
wir selbst in der Lage sind. Es wird individuell zu entscheiden sein, ob man sich auch an
anderen Kunstschaffenden messen will oder bloß an den eigenen Möglichkeiten in der
Kunst.
Also: Kunstbetrieb oder Transzendenz? Gut, ich will es
etwas konkreter halten und mich dabei einmal mehr auf Markus Lüpertz beziehen. Seine
Auffassung sagt mir sehr zu. Lüpertz meint, die Kunst beschäftige sich hauptsächlich
mit sich selbst, sie sei immer Renaissance, stelle sich den Jahrhunderten, ringe
dabei mit sich und den Fragen nach Qualität, nach Vollendung.
In diesen Überlegungen kommen Kunstbetrieb und Kunstmarkt
gar nicht vor. Ich hab also prinzipiell die Freiheit, diese Bereiche getrennt zu halten.
Ich halte nichts davon, in dieser Frage so trübe Kategorien wie Idealismus
einzuführen. Mir erscheint das mehr eine Frage nach Konzentration zu sein.
Wo ich mich auf den Kulturbetrieb einlasse und gelegentlich
einem Publikum zuwende, geht es um ganz andere Aspekte. In einem Eintrag vom 4. Dezember 2017 hab ich
diesbezüglich notiert:
+) Aufmerksamkeit gehört zu den bedeutendsten Währungen in menschlicher Gemeinschaft.
+) Soziales Handeln ist eine der wichtigsten Sinnressourcen, die wir kennen.
Dort ist auch Lüpertz erwähnt, dessen Konzentration mir
in Fragen der Kunst naheliegt. (Daß er in seiner Selstdarstellung höher zielt als
Legionen, ist ein anderes Thema.) Im Kontrast dazu drängen sich mir via Internet immer
wieder geschwätzige Menschen auf, die jenen Teil eines verkommenen Bildungsbürgertums
verkörpern, in dem die Bildung weitgehend abgeschafft wurde und bloß noch als leere
Geste mitgeschleppt wird.
Anstatt sich an ihrer Situiertheit und Saturiertheit zu
erfreuen, rücken sie ihre Wissensdefizite und ihren Mangel an Esprit durch klapprige
Wortmeldungen ins Rampenlicht: Kunst sei dies, Kunst sei das, jeder Mensch könne doch und
habe doch und werde doch und überhaupt! Die wahren Künstler, oh, diese
Bollwerke der Wahrheit, die man ergriffen anruft, auf daß etwas Glanz abfalle
etc. etc. etc.
Schon Beuys hatte klargestellt, daß zwar jeder Mensch zum
Künstler werden könne (Konjunktiv!), aber nicht jedes bemühte Tun dadurch zur
Kunstpraxis werde. Es hat sich, so weit ich sehe, bis heute nichts daran geändert, daß
Kritik der Vergleiche bedarf, ansonsten nutzlos bleibt und leicht zu einem polemischen
Anschütten wird, das nichts nützt.
Es ist ja ganz originell, den begriff Kunst als Fallbeil in
eine Distinktionsmaschine einzubauen, um so einige dünne Wursträder des fahlen
Geschmacks zu produzieren. Eine Beschäftigung damit lohnt sich nicht, weil das bei
näherem Hinschauen bloß selbstreferenzielle Gymnastikübungen sind, aus denen sich
nichts lernen läßt.
Also Lüpertz.
+) Die Kunst beschäftigt sich hauptsächlich mit sich selbst.
+) Sie ist immer Renaissance, stellt sich den Jahrhunderten.
+) Sie ringt dabei mit sich und den Fragen nach Qualität, nach Vollendung.
Eine interessante Aufgabenstellung, vor allem dort, wo es
nicht zu epochalen Höchstleistungen des Kunstschaffens kommen wird, sondern wo abseits
des Landeszentrums, in der Provinz, ein angemessenes geistiges Leben sichergestellt sein
sollte; auf daß die Provinz nicht an allen Ecken provinziell sein muß. Das ist ja eine
neue Situation.
Im Augenmerk für die Schnittstellen zwischen Volkskultur,
Popkultur und Gegenwartskunst finde ich reichlich spannende Teilthemen. Dort
können sich selbst die Sekretäre des Trivialen so manche Referenzpunkte nicht
verkneifen, dank derer die billige Unterhaltung mit den großen Stoffen der Antike
gekoppelt wird. (Ich bin ein sorgloser Anhänger der billigen Unterhaltung mit gebotenem
Respekt für deren Sekretäre!)
Das liefert mir etwa solche Fundstücke: In der TV-Serie Star
Trek Discovery sagt der Kelpianer Saru an einer Stelle Er, der
lernen will, muß leiden. Und selbst zur Stunde des Schlafs tröpfelt die Qual zum Herzen.
Und widerstrebend werden wir dabei klug."
Das wäre so ungefähr Aischylos, eine Stelle aus der
Orestie Agamemnon". Ich bin immer wieder überrascht, wie Kunstfiguren
der Pop-Kultur vor allem mit Shakespeare vertraut sind, aber auch mit Autoren der Antike.
Saru ist ein Offizier der Sternenflotte, genauer, der überhaupt erste Kelpianer
in der Sternenflotte. Ein Mann des 23. Jahrhunderts. (Sein Kopf erinnert mich an
den einer Schildkröte.)
Das Klassiker-Zitat könnte ganz unaufgeregt als ein
Hinweis auf die Mühen von Wissensarbeit und Lernschritten gedeutet werden. Nicht mehr,
nicht weniger. Die Übersetzung des griechischen Originals ins Deutsche macht einem dann
aber ihrerseits einige Mühe. Ohne Kenntnis des Kontextes kommt diese Textstelle ziemlich
esoterisch daher:
Ihn, der uns zum ernsten Nachsinnen leitet, uns in Leid
Lernen läßt zu seiner Zeit;
Drum weint auch im Traum im Herzen noch
Kummer leideingedenk, und es keimt
Wider Willen weiser Sinn.
Wohl heißt streng und schonungslos der ewgen hochgethronten Götter Gunst! [Quelle]
Mit macht das zwiespältige Gefühle, weil ich mich über
die Jahre immer wieder in antiken Texten verheddere und dem zugleich mißtraue; als einem
möglichen Ausdruck eigener Bildungsdünkel. Pop fragt aber nicht nach solchen
Skrupeln, sondern ereignet sich einfach.
-- [Tesserakt] -- |