10. Februar 2019 Manchmal
hab ich so ein großes Verlangen danach, den Regen zu hören, aber das Warten darauf ist
so ungewiß. Oft mag ich die Stille um mich. Immer wieder bin ich der Geselligkeit
gegenüber ratlos. Ständig interessieren mich Dinge, die kaum jemandem wichtig sind. Und
dann hocke ich da, in einem ruhigen Winkel, bei der jüngsten Session im Schloß. Hermann
Maurer erzählt von seinen Reisen und von Besonderheiten dieser Welt. Dazu gehört die Welwitschia
mirabilis.
Die Welwitschie (Foto: Freddy Weber,
Public Domain)
Das ist eine Blume, die in der Wüste Namib
gedeiht, die sich nur aus dem gelegentlich anfallenden Tau mancher Nächte ernährt,
weshalb sie äußerst langsam wächst. Das bedeutet, diese Pflanz kommt ohne Grundwasser
und ohne Regen zurecht. Stattliche Größe verlangt dann mitunter nach rund zweitausend
Jahren Wachstum: [link]
Weshalb wollen wir solche Dinge wissen? Sie haben keinerlei
Nutzen für den Alltag. Die Wißbegier ist mir eine der rätselhaftesten
Eigenschaften des Menschen. Eigentlich ist Eros der treffendste Ausdruck dafür
und Platon hat im "Symposion" beschrieben, was damit gemeint sei. Wie
erstaunlich, daß wir dieses Wort auf sexuelle Konnotationen reduziert haben, was Unfug
ist, wenn man das "Symposion" ernst nimmt. Dabei wird deutlich, daß
wir die Wißbegier als ein Begehren ausgeblendet haben und der sexuell
aufgeladene Aspekt am Erotischen im Blickfeld bleibt, also genau jener Teil, der Menschen
zum Beispiel manipulierbar macht wie kaum eine andere Eigenschaft.
Das schwächt ganz nebenbei auch den Anwert von
Wissensgewinn. Diese feine Unterscheidung. wissend zu sein, das kann in manchen
Zusammenhängen Sozialprestige bringen, gewöhnlich an einer ausreichend hohen Position
innerhalb einer Hierarchie. Wissende von unten gelten dagegen meist als Problem.
Dazu kommt, die Mühen des Wissenserwerbs sind eher störend. Wer sich etwa einer
kritischen Debatte nicht stellen möchte, wird die Denkarbeit des Gegenübers einfach als "Hirnwichserei"
abwerten, um die Person selbst hinterherzuschieben, um die angeblich "Abgehobenen"
auf Talfahrt zu schicken.
Medien-Moment bei der Session im
Schloß
Ich denke heute, daß ist die Dynamik des Circus
Maximus. Das ist ein uraltes Ensemble von Affekten und Effekten. Man muß nicht
beklagen, daß wir Menschen so sind. Es braucht bloß Strategien, darin seine Nische zu
behaupten. Ich denke, das gehört zum Wesen von Wissens- und Kulturarbeit, nämlich solche
Nischen zu sichern und darin die nötige Arbeit zu leisten.
Ich sehe sogar mein eigenes Milieu, ein Feld der kultur-
und bildungsbeflissenen Menschen, davon ebenso betroffen wie andere Zonen menschlicher
Gemeinschaft. Das hat mich lange irritiert und ich begreife es erst sehr langsam als
schlüssig.
Kürzlich gab es in der Süddeutschen dieses
bewegende Interview mit der Dichterin Friederike Mayröcker: [link] Immerhin eine der bedeutendsten zeitgenössischen Autorinnen
Österreichs, die in diesem Interview sagt: "Ich konnte ja selbst nie vom
Schreiben leben, kann es heute noch nicht."
Sie zeigt in jenem Gespräch ungewöhnliche Offenheit in
der Darstellung ihrer Existenz und hat dafür zum Beispiel auf Facebook heftige,
freundliche Reaktionen bekommen, wo sich Menschen von dieser Schilderung berührt gefühlt
haben. Aber natürlich will das niemand in der Nähe leiden. Es wird erst durch die
Distanz via Medium so anheimelnd. Wie erwähnt, Circus Maximus. Es gibt viele
Spielarten, um in der Arena zu landen.
Mayröcker wurde an einer Stelle gefragt: "Sind
Sie glücklich, wenn Sie schreiben?" Ihre Antwort: "Überglücklich.
Schreiben ist reflektiertes Leben." Das kann man freilich niemandem
verständlich machen, außer jemand kennt diesen Eros aus eigener Erfahrung.
Ewald Ulrich (links) Und Hermann
Maurer
Ich vermute, in meiner ursprünglichen Vorstellung von kollektiver
Wissens- und Kulturarbeit war es ein entscheidender Webfehler, diese Zusammenhänge
zu unterschätzen. Ärgerlicherweise spricht das in der Praxis gegen die Idee
einer "Kultur für alle" (Hilmar Hoffmann). Oder es bedeutet bloß,
daß wir hierzulande jene emanzipatorische Praxis, die ein radikaler Wissensgewinn
zumindest eröffnet, vorerst lieber ausschlagen, indem wir einer Option huldigen, die
herkömmlicher Priesterschaft entspricht. (Ein sehr antiquierter Modus.)
Genau das drücken zum Beispiel die Huldigungen der
Friederike Mayröcker via Social Media aus. Ihre Position gilt als bewundernswert
und darf bewundert werden, wo sie in dieser enormen Distanz zu unser aller Alltag
existiert. (Priesterlich!) Wie sie ihre Existenz bestreitet, bleibt unklar. Dazu gibt es
keinen gesellschaftlichen Konsens, der wirksam würde.
Mir ist im Augenblick noch nicht recht klar, welche
Schlüsse daraus zu ziehen wären, was nun zum Beispiel kulturpolitische Agenda
betrifft. Aber wenn ich mich in der Steiermark umsehe, finde ich im Kulturbetrieb nicht
gerade starke Strömungen emanzipatorischer und aufklärerischer Positionen. (Bedaure! Die
derzeit populäre und breit auffindbare Empörungsgymnastik sowie Sprücheklopferei über
den Zustand Österreichs kann ich in dieser Frage nicht anrechnen.) Da sind also etliche
brisante Fragen offen.
-- [Konsortium 18: Statusfragen] --
P.S.: Zur oben erwähnten Session im Schloß
siehe: "Vom Reisen in jeder Hinsicht" (Hermann Maurer bei Fokus
Freiberg) |