2. Jänner 2019 Wenn
ich einem Aggressor nicht ausweichen kann, bleiben mir drei Optionen. Den Angreifer
abschrecken, ihn entwaffnen, den Angriff zu ertragen. Ich gehöre einer Generation an, die
unter einem breiten gesellschaftlichen Konsens gelebt hat, daß Gewalt an Kindern
akzeptabel, sogar gelegentlich notwendig sei. Mit dieser obszönen Lizenz zur
Gewalttätigkeit nahmen sich Erwachsene auch Übergriffe heraus, die sie verbergen
mußten, weil diese Handlungen als pädagogische Maßnahmen auf keine denkbare Art
legitimierbar waren.
Drill instructor Sgt. William
Loughran (Foto: Cpl. Caitlin Brink, Public Domain)
In diesen Zusammenhängen steht nun das zweite Themenblatt des
Projektes "Tesserakt". Die Kultur des Drills hat weit
verzweigte Wurzeln in der Tiefe der Geschichte. Wie soll man Menschen dazu bewegen, daß
sie zum Vorteil anderer in eine Schlacht gehen? Wie dreht man jemanden, daß er sich den
Waffen von Angreifern aussetzt, ohne zu flüchten?
In der Vergangenheit hat es bei Kriegshandlungen wohl mehr
Belagerungen als offene Feldschlachten gegeben. Der Große Krieg und der Zweite
Weltkrieg fanden durch weitreichende Mechanisierung dann völlig anders statt, was
etliche Generalstäbe völlig überforderte. Aber der Drill war nicht erst durch den in
Preußen sprichwörtlich gewordenen Kadavergehorsam zu einem strategischen Mittel
geworden. (Übrigens ein Begriff, den die Jesuiten in Ordens-Fragen eingeführt haben.)
Ich hab gestern
den Dreißigjährigen Krieg erwähnt. Damals hat ein neuer Waffentyp der
Linieninfanterie eine exponentielle Erhöhung der Feuerkraft ermöglicht. Dabei traten die
Musketiere in zwei bis drei Wellen zwischen Piketiere, die sie mit ihren langen Lanzen
gegen Kavallerie-Angriffe deckten. Feuern, zurücktreten, nachladen, vortreten, feuern,
zurücktreten und so weiter.
Drill instructor Sgt. Deborah Benson
(Foto: Cpl. Caitlin Brink, Public Domain)
Da mußten die Handgriffe sitzen und das Zielen geübt
sein. Also wurden Verbände kaserniert und ausgebildet, entwickelten sich zur Grundlage
eines stehende Heeres, damit die Fachkräfte des Tötens im Bedarfsfall zur Verfügung
standen..Dabei begnügte sich Fürsten nicht mehr mit Söldnern, die je nach Anlaß und
verfügbaren Geldern angeheuert wurden, aber eventuell mitten im Krieg die Seiten
wechselten, falls der Sold ausblieb.
Solche Neuerungen verlangten nach erheblichen Mitteln, die
lukriert werden mußten. Das veränderte gesellschaftliche Zusammenhänge. Anfang des 19.
Jahrhunderts führte das Zündnadelgewehr zu ähnliche Effekten. Die
waffentechnische Innovation hatte enorme Konsequenzen. Rund 50 Jahre später führten Karl
Holub und Josef Werndl den Tabernakelverschluß für Hinterlader ein.
Der Auftakt eines Welterfolges, mit dem aus der Josef
und Franz Werndl & Comp., Waffenfabrik und Sägemühle bald die Österreichische
Waffenfabriksgesellschaft wurde, eine der bedeutendsten Waffenschmieden Europas.
Daraus wurde 1926 die Steyr-Werke AG. Die verband sich 1934 mit der Austro-Daimler
Puchwerke AG zur Steyr-Daimler Puch AG, welche jenen Steyr-Puch
Haflinger entwickelte, dessen 60er heuer ansteht; siehe dazu: Das Haflinger-Projekt.
1st Battalion Scots Guards and 105th
Regiment
Royal Artillery (Foto: Mark Owens, MoD/MOD, OGL)
Es trennen uns noch nicht so viele Jahrzehnte von jener
Zeit, da das Heer als "Schule der Gesellschaft" verstanden wurde und
der "soldatische Mann" als Ideal galt. Die Erfahrung des Faschismus hat
nicht gereicht, um solche Konzepte zu diskreditieren.
Aber warum sollte sich jemand aus freien Stücken der
Erniedrigung aussetzen? Weshalb sollte es jemand begrüßen, im eigenen Willen gebrochen
zu werden? Was mag Immanuel Kant bewogen haben, den Ausgang aus selbstverschuldeter
Unmündigkeit vor allem als den Gebrauch seines Verstandes ohne die Anleitung durch
andere zu betonen?
Die Verlockung, für einen eigenen Vorteil andere Menschen
preiszugeben, reicht natürlich auch in mein vertrautes Milieu herein. Hier muß um so
mehr bemäntelt werden, was es per Definition nicht geben darf, aber in der Praxis gibt.
Dieses Bemänteln ereignet sich im Entwerfen und Etablieren von Narrativen. Da stellt
sich,die Frage, welche Erzählungen wir derzeit pflegen und wie sehr sie in der Praxis
einer Überprüfung standhalten.
-- [Konsortium 18] [Tesserakt]
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