14. Dezember 2018

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Heute folgt die letzte Station des 2018er Kunstsymposions, womit ich zugleich ein Segment des Langzeitprojektes „The Long Distance Howl" abschließe. Von diesem Tag an geht es mit dem Konsortium 18 weiter. Maler Willy Rast kommt für Dialog und Debatte „Zur Kunst". Damit sind die Talking Communities wieder betont, eine Serie der Konferenz in Permanenz, die wir im Jahr 2010 im serbischen Novi Sad begonnen haben: "Die Novi Sad-Session".

Die Kunst als Anlaß für den Dialog mit sich selbst und mit anderen. Diese Möglichkeit beruht zum Beispiel auf dem Umstand, daß wir nicht nur in Worten denken, sondern auch in Bildern und Emotionen. Das sollte auch in den Mitteilungen nach außen möglich sein. Hier tut sich ein Feld der Kunst auf.

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Das heißt ferner, unser Reflexionsvermögen und unsere Kommunikationsmöglichkeiten sind mit einer Summe von Codes, von Denk- und Verfahrensweisen ausgestattet, die wir im Alltag gewöhnlich nicht anwenden können, weil eine zweckrationale Vorgangsweise diese Komplexität meist nicht erlaubt.

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Das bedeutet umgekehrt, wo Raffinesse fehlt, Esprit keinen Zutritt findet, wo Wissen um die Dinge kaum Spuren zeigt und wo ein origineller Geist durch Abwesenheit glänzt, hat die Kunst keine Möglichkeiten. Günstiger formuliert: Kunstpraxis heißt folglich, diese Komplexität auszuloten, zu leben, zu praktizieren. Die Freiheit der Kunst bedeutet dabei vor allem einmal, nicht auf die Bedingungen von Alltagsbewältigung und Zweckrationalität beschränkt zu werden. (Folglich sind Kollisionen mit Anhängern und Ministranten des Zweckrationalen unausweichlich.)

Was derzeit offenbar immer noch nicht neu verhandelt werden muß: Die Kunst folgt ihren eigenen Regeln. Augenblicklich herrscht noch jener Konsens vor, der besagt, von außerhalb vorgebrachte Regeln seien dabei nachrangig und eher eine Belastung der Kunstpraxis. Im Klartext: die Kunst braucht keine Vorschriften berücksichtigen, die außerhalb ihrer Bezugssysteme entworfen wurden. (Auch das berührt Fragen nach der Freiheit der Kunst.)

Kunst und Kunstpraxis sind zweierlei, zwei verschiedene Kategorien. Die Kunst selbst ist transzendent, sinnlich nicht erfahrbar. Solche Erfahrbakeit bleibt den Kunstwerken vorbehalten. Über die Werke machen wir Wahrnehmungserfahrungen = ästhetische Erfahrungen. Ästhetik = Aisthesis = Wahrnehmung, im Gegensatz zur An-Aisthesis = Anästhesie = Betäubung.

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Soweit ich heute sehen kann, verlangt die Kunst   nichts außer: beherrsche deine Mittel! (Ausgenommen Werke, die einen Bruch dieser Anforderung konzeptionell begründen.) Mit Werken, die keine Qualität erkennen lassen, welche über „kreatives Gestalten" und Geschwätzigkeit hinauskommt, werden wir uns nicht befassen können. Ein ambitioniertes Geplapper, egal in welchem Code, gehört zur Alltagsbewältigung und ist kein Anlaß für Fragen nach der Kunst.

Ich bin außerdem überzeugt, die Kunst ist kein „soziokultureller Werkzeugkasten", um gesellschaftliche Schieflagen zu reparieren. Daher glaube ich auch nicht an "Die Aufgaben der Kunst", an "engagierte Kunst", an eine "gesellschaftliche Relevanz der Kunst" und ähnlich Konzepte, mit denen sich Leute auf der Meta-Ebene in Stellung bringen.

Die längste Zeit der Kunstgeschichte wäre niemand auf die Idee gekommen, in Fragen zur Kunst so einen Utilitarismus einzuführen. Eine „Kunst, um zu…" ist gewöhnlich keine. Der wesentliche Punkt bleibt: Während die Kunst selbst von solchen Befrachtungen freigestellt bleiben muß, weil derlei Aufgabenstellungen einfach von ihr abgleiten, erwerben wir in der Befassung mit Kunst (-werken) eine ganze Reihe von Kompetenzen, die für soziale Zwecke sehr gut genutzt werden können.

Ist der Unterschied klar? Ich kann persönlich einigen Nutzen aus der Befassung mit Kunst ziehen. Dieser Nutzen läßt sich selbstverständlich in ein Engagement für das Gemeinwesen einbringen. Aber die Kunst selbst steht dafür nicht zur Verfügung. Daher meine ich auch: Der Broterwerb ist keine Kategorie der Kunst, sondern eine soziale Kategorie. In diesem Sinn wollen wir dann auch den künstlerischen Wert und den Marktwert eines Werkes nicht verwechseln.

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Ich staune oft, wie sehr sich Menschen in den Bewertungsfragen nach Eindeutigkeit verzehren, das Mehrdeutige meiden. Für die Alltagsbewältigung ist das meist eine nützliche Haltung. Aber eben deshalb haben wir doch andere Felder aufgemacht, auf denen wir uns von genau diesen Anforderungen nach Eindeutigkeit absetzen. Muß ich denn ausführen, wie sehr jede Entwicklung unmöglich bliebe, falls wir bloß in der Eindeutigkeit verbleiben würden?

Es fragen immer noch viele: Was ist Kunst? Ich hab es so lieber: Wann ist Kunst? Das läßt einfach mehr Spielraum. Und das Bewerten von Kunstwerken? Darauf will ich nicht verzichten. Vor allem dort, wo launige Menschen Guerilla Marketing betreiben, ihre letztlich kunstfernen Interessen als Agenda der Kunst verkleiden und damit Ressourcen kapern, die den Bedingungen der Kunst gewidmet sind.

Ich kann Werke nach ihren sinnlichen Qualitäten oder nach den Regeln der Kunst bewerten, auch nach beiden Kategorien. (Sinnlich: was das Wahrnehmbare in mir auslöst. Regeln: was gemäß der laufenden Diskurse über Kunst Bedeutung hat.)

Kritik zu üben heißt vergleichen und die Ergebnisse des Vergleichs subjektiv zu deuten, die Deutung zu begründen. Das brauchen wir ja auch, um den Alltag zu bewältigen. Kunstkritik ist freilich auch nicht bloß dem Erkenntnisgewinn per se gewidmet, sondern regelt zum Beispiel Teile des Kunstmarktes und des Kulturbetriebs. Das ist ein anderes Geschäft...

-- [Willy Rast beim 2018er Kunstsymposion] [Zur Kunst] [Konsortium 18] --

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